Zahnprothese: Im Dienst der Krone
Sie sind die Fälscher mit der weissen Weste: Um Zahnlücken und Zahnverfärbungen zu kaschieren, stellen Zahnprothetiker kleine Kunstwerke her.
Zahnprothese: Der Begriff ruft Bilder hervor von verfärbten, glanzlosen Kunstzähnen, eingegossen in rosa Plastik. Man hört, wie sich das künstliche Oberkiefergebiss bei jedem Wort vom Gaumen löst und klappernd auf die untere Zahnreihe fällt.
Das Bild ist veraltet. Wer heute einen oder mehrere Zähne verliert, kann sich auf seine dritten freuen. Die prothetisch tätigen Zahnärzte werdens richten. Rasante Fortschritte in der Entwicklung neuer Materialien und Techniken erlauben es ihnen, den stetig wachsenden Bedürfnissen nach Ästhetik und Komfort ihrer Kundinnen und Kunden gerecht zu werden. Ihre kleinen Kunstwerke in der Mundhöhle lassen bezüglich Funktion und schönem Aussehen immer weniger zu wünschen übrig. Doch prothetisch ausgebildete Zahnärzte ersetzen nicht nur fehlende Zähne. Sie verleihen auch vergammelten Zahnreihen neuen Glanz, geben dem Lächeln sein Strahlen zurück.
Welche Patientinnen und Patienten sollen sich an den Spezialisten für zahnärztliche Prothetik wenden? «Die Frage ist schwierig zu beantworten», sagt Jürg Eppenberger, Pressesprecher und Vorstandsmitglied der Zahnärztlich Prothetischen Gesellschaft der Schweiz (ZPGS). Die rund fünfzig praktizierenden Fachärzte der ZPGS wollen ihren Kolleginnen und Kollegen in den zahnärztlichen Allgemeinpraxen nicht auf die Füsse treten. «Es gibt sehr viele Allgemeinpraktiker mit Zusatzausbildung, welche die prothetischen Techniken einwandfrei im Griff haben.» Laut Eppenberger ist der Spezialist am ehesten dort gefragt, wo es um die Lösung komplexer prothetischer Zahnprobleme geht. Wichtig sei, dass sich ein Zahnarzt – mit oder ohne Fachtitel – genügend Zeit für Patient und Behandlung lasse. Vor dem Einsetzen von Kronen, Brücken, Teil- und Vollprothesen gilt es nämlich, die verbleibenden Zähne, Zahnbett und Zahnfleisch in einen optimalen, gesunden Zustand zu versetzen. Dazu sind oft wochen- bis monatelange Vorbehandlungen nötig – gegebenenfalls auch beim Kieferorthopäden. Und vor dem definitiven Einsetzen grösserer Rekonstruktionen soll der Patient sich mittels Provisorien langsam an die neuen Verhältnisse im Mund gewöhnen können. Prothetische Zahnbehandlungen innerhalb Wochenfrist, wie sie Zahntouristen nach Ungarn angeboten werden, sind denn für Eppenberger «a priori unseriös».
In vielen Zahnarztpraxen werden prothetische Hightech-Methoden angeboten. Die Trends sind unverkennbar: bessere Ästhetik, den Zahn schonende Behandlungsmethoden, Einsatz bioverträglicher Materialien. Dass diese Technologien zunehmend hohe Investitionen in Apparaturen und Ausbildung bedingen, wundert nicht. Der Kunde muss dafür immer tiefer in die Tasche greifen.
Weisse und rote Ästhetik
Die Goldkrone gilt in Fachkreisen heute noch als gute Möglichkeit, einen beschädigten Zahn über Jahre gesund zu erhalten. Nur: Ihr unnatürlicher Glanz signalisiert, dass am Gebiss gewerkelt wurde. Gefragt sind deshalb Materialien, die den Glanz und das diskrete Schillern eines natürlichen, vitalen Zahnes imitieren. Weisse Kunststoffe sind zwar einfach verarbeitbar und kostengünstig, sie altern aber schnell und verfärben sich.
In die Zahnlücke springen deshalb Keramikmaterialien, die vom Zahntechniker zu richtigen Kleinoden geformt werden. Sie sind farblich dem individuellen Zahnschmelz des Patienten angepasst und sehen natürlich aus. Nur noch Profis entlarven sie als künstliche Zähne. Die Porzellane füllen auch Zahnlöcher und dienen als Kronen für angeschlagene Zähne. Als feine Porzellanfacetten an den Frontzähnen befestigt, überdecken sie unschöne Zahnverfärbungen oder korrigieren kleinere Lücken und fehlgeformte Zähne. Ihre häufigste Anwendung finden die Keramiken als Verblendmaterial
von Metallträgern: Edelmetalllegierungen aus Gold und Platin stellen das stabile Gerüst zu Kronen und Brücken, die Keramikmasse wird aufgebrannt und erstrahlt in zahnweissem Glanz. Neue, extrem harte Keramiken sollen dereinst die tragenden Metalle ersetzen. Sie sind derart robust, dass sie selbst dem Diamantbohrer trotzen. Computergesteuerte Apparaturen schleifen das neue Werkmaterial vor der endgültigen Härtung in die gewünschte Form. Dies muss präzis berechnet werden, denn beim letzten Produktionsschritt, der Sinterung, verdichtet sich die Keramik um ein Fünftel ihres Volumens. Die Keramikfundamente versprechen noch schönere Resultate, weil kein dunkles Metall mehr durch Keramiküberzug oder Zahnfleisch schimmert.
Oft sind es nicht nur die Zähne, die ein Lächeln verunstalten. Auch zu üppiges Zahnfleisch oder dessen Schwinden beeinträchtigt die «rote Ästhetik». Kein Problem: Gingivalchirurgische Eingriffe entfernen Zahnfleisch dort, wo es stört, und setzen es an, wo es fehlt. Mit Skalpell und feinstem Nähfaden formen die Spezialisten für zahnärztliche Prothetik oder die Parodontologen das Zahnfleisch neu. Solche Korrekturen werden immer häufiger angewandt.
Kleben statt schleifen
Beim Brückenbau über Zahnlücken werden die randständigen Zähne als Pfeiler verwendet. Sie ermöglichen als Ankerpunkte die Befestigung des Brücken-Zwischengliedes. Oft sind die Pfeiler noch gesund; dennoch müssen sie bei herkömmlicher Technik mit Verankerungskronen versehen werden – nur ausgedehntes Abschleifen des Zahnmaterials macht dies möglich. Heute umgehen die Zahnärzte diesen zerstörerischen Akt. Mittels Klebematerialien befestigen sie die Brücke mit zwei Flügelchen an der Innenseite der Pfeilerzähne; die werden zur Vergrösserung der Haftfläche lediglich leicht angeritzt. Der Klebevorgang ist äusserst aufwändig, kleinste Verunreinigungen durch Staub oder Speichel könnten die Haftfestigkeit verringern.
Zähne pflanzen
Seit den Achtzigerjahren hat sich eine neue Methode zum Zahnersatz durchgesetzt, die Implantattechnik. Einzelne Zähne, aber auch ganze Zahnreihen, werden in die Kieferknochen eingepflanzt. Federführend bei der Entwicklung der Methode waren schwedische Wissenschaftler. Deren Studien zeigten, dass implantierte Zähne auch nach zehn Jahren noch grösstenteils intakt waren. Kurz darauf begann sich die Implantatbehandlung auch in der Schweiz zu etablieren.
Inzwischen hat sie sich zum zahnprothetischen Alltag gemausert und ist fes-ter Bestandteil des Zahnarztstudiums. Künstliche Zahnwurzeln aus Titan werden in die Knochenkämme von Ober- oder Unterkiefer geschraubt. Sollte dort das Knochenfundament zu spärlich sein, muss zuerst neues Knochengewebe aufgebaut werden. Dabei entnimmt der Zahnarzt Knochenteile aus der Kieferregion des Patienten und pflanzt sie an den gewünschten Ort; kleine Defekte füllt er mit künstlichem Knochenersatzmaterial. Für den Eingriff genügt meist eine lokale Betäubung. Nach dem Anwachsen des Knochengewebes werden die Implantate eingesetzt – wenige Monate später sind sie mit dem Knochen verwachsen und dürfen belastet werden. Jetzt können Einzelzähne, Brücken oder ganze Zahnreihen auf den künstlichen Wurzeln fixiert werden – fest verschraubt oder zementiert, als wärens die eigenen, oder – versehen mit einem Druckknopfsystem – als abnehmbare Prothese. Langzeitstudien geben der Implantattechnik gute Noten: Über 90 Prozent der fest implantierten Brücken halten noch nach 15 Jahren. Allerdings zieht sich die Implantatbehandlung über Monate hin; derzeit wird intensiv nach Wegen gesucht, das Verfahren abzukürzen und zu vereinfachen.
Vielleicht wird die elegante Implantatmethode künftigen Generationen nur noch ein müdes, aber weisses Lächeln entlocken. «Die ideale Lösung wäre, fehlende Zähne neu wachsen zu lassen», sinniert der Berner Professor Matthias Bickel, Leiter des Labors für orale Zellbiologie der Universität. Er untersucht Wechselwirkungen zwischen Zellen der Mundschleimhaut und Immunzellen und seit einigen Jahren auch Einflüsse von Goldlegierungen auf solche Zellen. Letztere sollten neben guter Kosmetik und biologischer Verträglichkeit auch angenehmen Mundkomfort bieten. Was besseres bietet sich da an, als den Zahn neu wachsen zu lassen? «Wir müssen dazu lediglich die Gene zur Steuerung der Zahnentwicklung besser kennen lernen», meint Bickel, «die weiteren Schritte sollten durchaus lösbar sein.» Bereits nehmen sich Forschungsteams weltweit der Utopie wissenschaftlich an.