Wie im alten Rom
Teens und Twens fliehen vor den strengen Alkoholgesetzen in den USA nach Europa und saufen sich voll – am liebsten auf dem Campo de’ Fiori in Rom.
Have fun, have fun!», brüllt Jobe aus Philadelphia und fuchtelt mit einer Bierflasche unter dem Hinterteil einer jungen Frau herum. Die streckt ihm bereitwillig ihren Po entgegen. Die umstehenden Halbwüchsigen finden das toll. Alle halten eine Flasche Bier in der Hand, deren Inhalt sie nach der Vorstellung des Animateurs ex und hopp in sich hineinschütten. Nach dem Spektakel zieht die Meute weiter. Auf der römischen Piazza Campo de’ Fiori bleiben ein Häufchen Erbrochenes und jede Menge leere Flaschen zurück, die zu Füssen der Statue des Kirchenketzers Giordano Bruno hin- und herrollen.
Das ist «Rome by night» – zumindest für die jungen Schluckspechte, die bei der amerikanischen Tourismus-Agentur Extreme Travelers den «Pub Crawl» buchen. Die Teens und Twens, die meist von amerikanischen Colleges, aber auch aus Australien, Kanada, Mexiko und Europa anreisen, suchen und finden in Rom Alkohol und Spiele – und manchmal auch einen Urlaubsflirt.
Ermöglicht wird der Dusel-Trip durch ein Bonus-Heft, das alle in der Tasche haben und mit dem sich die Youngsters in sechs Bierkneipen und Discos billig zudröhnen können. Die Gutscheine erstehen sie für umgerechnet 20 Franken im Pub «Drunken Ship», einem der beiden Lokale an der Piazza Campo de’ Fiori, mit denen die Agentur einen Sponsorvertrag hat. Dort dürfen die Extrem-Reisenden erstmal eine Stunde umsonst trinken. «Man kann wählen zwischen Wein und Bier», freut sich Anne aus Düsseldorf. Sie hat den Werbefolder von Extreme Travelers in ihrem Hotelzimmer gefunden und kippt sich jetzt schon das zweite Helle hinter die Binde.
«Auch die Mädchen saufen wie Lastwagenfahrer», freut sich einer der römischen Ragazzi, die dem Trinkgelage als Zaungäste beiwohnen und geduldig darauf warten, dass ihnen eine der bezwitscherten Touris-tinnen bereitwillig in die Arme fällt.
Seit sich die amerikanischen Pubs auf der pittoresken Piazza im Zentrum Roms breit machen, ist dort nichts mehr, wie es einmal war. Bis vor wenigen Jahren noch galt der Campo de’ Fiori, wo vor 400 Jahren der Freidenker Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen loderte, als einer der wenigen Plätze der Innenstadt, wo Römer und Touristen friedlich nebeneinander existierten. Die Restaurants und Bars schlossen spätes-tens um eins. Die Anwohner wurden höchs-tens vom Lärm der Marktfrauen gestört, die frühmorgens ihre Stände aufbauen.
Doch nun geht es auch noch spätnachts zu wie im alten Rom. Daran ändern auch die Kübel Wasser nichts, die aufgebrachte Bürger regelmässig über den Köpfen der grölenden Touristen entleeren. Oft enden die Besäufnisse mit Schlägereien. Dem Lokalpolitiker Piero Savastano flog unlängst wieder eine leere Bierflasche ins Fenster. «Die Gewalt auf dem Platz eskaliert, und die Polizei greift nicht ein», ärgert er sich. Savastano und die anderen Anwohner würden die Kneipen am liebsten schliessen und die Kids umgehend zum Trinken nach Hause schicken.
Das geht aber nicht, denn die jungen Amerikaner kommen vor allem wegen dem Suff nach Europa. Uncle Sams Söhne und Töchter sprechen zwar gern ausgiebig dem Alkohol zu – wie die beiden Töchter von Präsident Bush regelmässig der interessierten Öffentlichkeit demonstrieren -, doch in den Vereinigten Staaten dürfen sie bis zu ihrem 21. Geburtstag in der Öffentlichkeit keinen Alkohol trinken, geschweige denn eine Kneipe betreten. Aus diesem für viele Alkoholliebhaber leidigen Umstand haben gewiefte Tourismus-Unternehmen wie Extreme Travelers nun ein florierendes Geschäft gemacht. Wer in Europa säuft, bricht schliesslich keine amerikanischen Gesetze.
Für Tom aus New Jersey sind die Tage in Rom schon aus diesem Grund die besten Ferien aller Zeiten. Der 19-Jährige kennt die Extreme-Tour schon aus Florenz und ist nur wegen ihr in die italienische Hauptstadt gereist. «Rome is great», findet er. Damit meint er aber nur das «Drunken Ship», «Sloppy Sam’s» und drei andere Kneipen. Mehr hat er von der Ewigen Stadt in drei Tagen kaum gesehen.
Heute ist Toms letzter Abend. Er hofft, dass er auf der Piazza endlich beim Pistolen-Spiel zum Zuge kommt. Dabei darf er sich ein Girl aussuchen und ihm Bier in den Mund spritzen. Jobe, der farbige Animateur mit den Rasta-Locken, verspricht ihm ein Extreme-T-Shirt. «Der Junge ist kein einziges Mal umgekippt», sagt er. Beim «Pub Crawl» ist das schon eine herausragende Leistung.