TV-Shopping: Warenhaus Fernsehen

TV-Shopping: Warenhaus Fernsehen

TV-Shopping floriert. Prominente wie Uschi Glas und Denise Biellmann dienen als Aushängeschilder.

Eben hat Moderatorin Andrea Lutz im Fernsehstudio die Vorteile einer Massageduschbrause mit Mehrfachdüse gepriesen. Ihre Assistentin lässt unvermittelt das Wasser spritzen – die beiden stehen kurz im Nass. Spontanes Lachen, dann herrscht wieder verkäuferische Professionalität.
Die Brause gehört zu den Stars des deutschen Senders Home Shopping Europe (HSE). Hier werden im Stundenrhythmus Küchen- und Holzschleifmaschinen vorgeführt, verkaufen Moderatoren und Studiogäste Rohr- und Fleckenreiniger, werden Hautcrèmes und Autolackpolituren bestellt. Fernsehen, anrufen, bestellen: Das 24-Stunden-Programm von HSE ist die unterhaltendste Dauerwerbesendung deutscher Sprache – und die zurzeit wohl beste Geschäftsidee im privaten Fernsehen.

Ungeachtet der Werbeflaute im TV-Geschäft steigert der Einkaufskanal HSE Jahr für Jahr seinen Umsatz. Umgerechnet 381 Millionen Franken bei einer Zuwachsrate von 56 Prozent waren es letztes Jahr. Für 2001 rechnet das Münchner Unternehmen erneut mit zweistelligem Wachstum – auch beim Gewinn. 36 Millionen Franken betrug er im vergangenen Jahr.
Einkaufslust statt Werbefrust. Knapp 17’000 Artikel hält das Münchner Unternehmen für seine Teleshopper in Deutschland, Österreich und der Schweiz bereit. Darunter die Schmucklinie «Touch of Diamond» von Denise Biellmann. An starken Verkaufstagen dreht die Zürcher Eiskunstlauf-Weltmeisterin stolze Verkaufspirouetten und setzt mit in Gelb- oder Weissgold gefassten Diamantenimitationen in der Stunde umgerechnet 160 000 Franken um. Ein aussergewöhnliches Ergebnis für wenig aussergewöhnlichen Schmuck.

Denise Biellmann ist nicht das einzige prominente Aushängeschild des Senders. Die Schauspielerinnen Uschi Glas («Winnetou und das Halbblut Apanatschi») oder Christine Kaufmann («Rosen-Resli») haben eigene Schönheitspflegelinien. Doch die wirklichen Stars des Senders heissen Schärf-Hai, ein Messerklingenschleifer, Rytmo, eine Küchenmaschine, oder Total Gym, eine Fitnessbank.

«Wir sind ein Handelsunternehmen mit audiovisuellen Regalflächen», sagt Christian Overlack-Baudis, CEO von Home Shopping Europe. Was der Zuschauer als Fernsehunterhaltung wahrnimmt, ist in Wirklichkeit ein Warenhauskatalog mit bewegten Bildern. Der Sender als Kaufhaus. «Das Produkt ist die Unterhaltung», sagt Overlack-Baudis.

Anders als andere Fernsehprogrammanbieter rechnet HSE nicht mit Quoten und Marktanteilen. Statt Zuschauerzahlen werden aktive Kunden gemessen. 1,6 Millionen bestellen jährlich für durchschnittlich 100 Franken. 4,5 Millionen Pakete wurden letztes Jahr ausgeliefert. An Spitzentagen rufen 50’000 Zuschauer in den Call Centers des Senders an.

Schweizer Kunden landen telefonisch in Sankt Gallen. Hier läuft gegenwärtig das Geschäft mit den Teddybären zum Sammeln. «Besonders beliebt sind bei unseren Kunden die Sternzeichenbären in limitierter Auflage. Davon wollen sie alle zwölf, nicht nur etwa den Steinbockbären», sagt Susanne Feusi, Sachbearbeiterin beim HSE-Call-Center in Sankt Gallen. Hier rufen viele Stammkunden an; Neukunden reagieren «herzig», wie Susanne Feusi weiss: «Erst sprechen sie angestrengt Hochdeutsch und sind dann richtig erleichtert und froh, wenn sie jemand mit einem ‹Grüezi wohl› begrüsst.»

Grüezi, Schweiz! «Mein grosses Vorbild ist die Migros», sagt der Vorstandsvorsitzende Christian Overlack-Baudis. Am Grossverteiler beeindruckt ihn der hohe Anteil Eigenmarken. Fernsehgeräte der Migros-Marke M-electronic beispielsweise sind baugleich mit Nokia-Apparaten. Migros-Produkte schneiden in Qualitätstests mit Spitzenergebnissen ab. Dieses Konzept will Overlack-Baudis übernehmen. Jetzt schon lässt HSE die Uschi-Glas-Kosmetik im gleichen Unternehmen produzieren, wo auch Kosmetika renommierter Marken hergestellt werden. «In einigen Jahren wird auf einer Küchenmaschine unser Logo stehen. Home Shopping Europe wird eine starke Marke sein.»

Im ersten Studio in München-Ismaning sitzt Moderatorin Gesa Thoma auf einem Korbsofa und zählt mit jedem Kleidungsstück, das ihre Modelle Jeanette Weiss und Judith Pfistner präsentieren, Fünf-Mark-Münzen und Geldscheine in ein Sparschwein. Sparen beim Kaufen – auch ein Teleshopping-Sender kennt den Sommerschlussverkauf. Es herrscht Schichtbetrieb. Die Moderatoren und ihre Produkte wechseln stündlich, denn das zweite Studio wird umgebaut. Handwerker errichten gerade eine komplette Wohnung mit Küche, Wohnzimmer und Gartenschuppen. Eine typische Wohnambiance – «Willkommen zu Hause!» heisst der Slogan des Senders.

Teleshopping – das Internet hats zum Erfolg gebracht. «Durch den Computer haben die Leute gelernt, audiovisuell einzukaufen», sagt Overlack-Baudis. Jeder achte Deutsche kauft heute schon zu Hause, der CEO des Senders ist überzeugt, dass es noch mehr werden. «Wir haben immer weniger Zeit, in der Stadt nach einem Parkplatz zu suchen, in den Läden das riesige Produktesortiment zu sichten und dann an der Kasse noch anzustehen.»
Die neue Form des Lädelens hat die Konsumentenschützer auf den Plan gerufen. «Wir raten den Leuten, sich einen Kauf genau zu überlegen», sagt Katharina Hasler vom Konsumentenforum.ch. «Am Bildschirm sehen Produkte gerne grösser und besser aus, als wenn sie zu Hause ausgepackt werden.»

Das Marktpotenzial ist riesig. Statistisch gibt jeder Deutsche umgerechnet 10 Franken für Teleshopping aus, der Brite 50. Teleshopping wird sich auch hier zu Lande als Einkaufsform etablieren, ist man bei HSE überzeugt. Spätestens wenn auf jedem Fernseher eine Set-Top-Box einheitlicher Programmierung steht und Fernbedienungen mit einem «Jetzt bestellen»-Knopf ausgerüstet sind. «Wir stehen für das interaktive Fernsehen in der Startlöchern. Dazu sind wir prädestiniert.» Im Jahr 2005, rechnen Fachleute, werden mit Teleshopping im deutschsprachigen Raum rund 1,6 Milliarden Franken umgesetzt.

Bis es so weit ist, expandiert HSE auf herkömmliche Art. Als der Sender im März auf den mit ihm verbundenen Kirch-Kanälen Sat 1 und Pro 7 Programmfenster startete, stieg die Zahl der Neukunden im Vergleich zum Vormonat um 72 Prozent auf 4300 pro Tag. Der Erfolg zog Nachahmer an. Auch die RTL-Senderfamilie wandelte sich inzwischen in den Morgenstunden zum Telewarenhaus und kooperiert für den «RTL Shop» mit dem deutschen Ableger des US-Shoppingsenders QVC (Quality, Value, Convenience). Auch für das Mutterland aller Programmfenster, die Schweiz, hat HSE Pläne. «Wir denken über ein massgeschneidertes Schweizer Programm mit Schweizer Moderatoren auf einem Schweizer Sender nach. Das rechnen wir.»

Eine erste Hochrechnung des Potenzials muss positiv ausfallen: Schweizer Kunden von Home Shopping Europe verdienen besser als deutsche und sind durchschnittlich jünger. 20 Prozent der Schweizer, die bei HSE bestellen, verfügen über mehr als 7500 Franken Monatslohn, aber nur sechs Prozent der deutschen HSE-Kunden. Zudem ist die Produktion eines Shoppingprogramms vergleichsweise günstig: Keine 120 Franken veranschlagt eine Sendeminute – zehnmal höher sind die Produktionskosten bei einem TV-Sender mit Nachrichten und Spielfilmen im Programm.
Mit Denise Biellmann hat der Sender bereits ein Stück Schweiz erobert. Die Schweizer lieben die Preziosen der Eiskunstläuferin. Die Sankt-Galler HSE-Mitarbeiterin Susanne Feusi erinnert sich gerne an den jungen Mann, der beim Call Center anrief, um für seine Freundin einen Verlobungsring zu bestellen. Nur wusste er nicht welchen. «Wir rieten ihm zu einer speziell feinen Goldarbeit aus Denise Biellmanns superjungen Kollektion.» Bei HSE nimmt man sich der Kundschaft eben professionell liebevoll an.

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