Tele 24 – Aus der Traum

Tele 24 - Aus der Traum

Roger Schawinskis Lebenswerk ist in Gefahr. Tele 24 ist am Ende. Den Rest will die Tamedia AG erwerben.

Es herrschte dicke Luft im Sitzungszimmer – nicht nur weil zu viele Leute dicht gedrängt anwesend waren. Die Tele-24-Mitarbeiter hatten an jenem Freitagmorgen vergangener Woche im «Blick» gelesen, dass zwischen 55 und 80 Vollstellen abgebaut werden. Jetzt war der Chef erschienen, um ihnen die Botschaft im Nachhinein persönlich zu übermitteln.

«Erstmals haben nicht alle leer geschluckt, sondern Empörung machte sich breit», berichtet ein langjähriger Redaktor. Während Jahren konnte Roger Schawinski gegenüber seinen Mitarbeitern auf sein Charisma als Medienpionier setzen. Man war und blieb ihm treu ergeben. Jetzt ist er angreifbar geworden. Erfolg im Mediengeschäft bringt zwar mehr Glamour als anderswo – umso härter wird der Misserfolg bestraft.

Das Ende von Tele 24 ist absehbar. Den Rest seiner Mediengruppe will die FACTS-Herausgeberin Tamedia AG erwerben. Über die Kaufverträge für TeleZüri, Radio 24 und der Vermarktungsgesellschaft Belcom streiten gegenwärtig die Anwälte. Die Verhandlungen scheinen schon weit fortgeschritten. Doch die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass in der Causa Schawinski immer wieder Überraschungen im letzten Moment auftreten können. Noch ist beispielsweise nicht entschieden, was mit dem Anteil von 40 Prozent der Credit Suisse an der Belcom geschehen wird. Die Tamedia besteht auf einer 100-prozentigen Übernahme. FACTS liegt allerdings bereits der Entwurf einer Medienmitteilung mit dem Titel «Tamedia übernimmt TeleZüri und Radio 24» vor. Demnach soll die journalistische Unabhängigkeit von TV3, TeleZüri und Radio 24 gewahrt bleiben: «Die Sender werden weiterhin in einem Wettbewerbsverhältnis untereinander stehen und ihre Profile schärfen können.» Synergien erwartet die Tamedia vor allem im Backoffice-Bereich. Tele 24 und Money 24 werden gemäss dem Dokument explizit nicht übernommen. Das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) und die Wettbewerbskommission müssten eine allfällige Übernahme bewilligen.

Finanzielle Not hat Roger Schawinski in die Verkaufsgespräche getrieben. Seit dem Start von Tele 24 hat er laut eigenen Angaben jährlich rund acht Millionen Franken verloren. Gemäss «HandelsZeitung» soll Schawinski 150 Millionen Franken verlangen.

Schawinski will die jüngste Entwicklung seines Lebenswerks nicht kommentieren. Er erachtet es unter den bestehenden medienpolitischen Verhältnissen als unmöglich, «mich noch einmal als Robin Hood zu versuchen». Die politischen Entscheidungsträger hätten offensichtlich kein Interesse an einer Alternative zur SRG: «Dagegen bin ich chancenlos.»

Interessenlosigkeit aber herrscht nicht. Im Gegenteil: Von links bis rechts wird Bedauern über das absehbare Verschwinden von Tele 24 bekundet. Ein prononcierter Rechtspolitiker wie der Aargauer SVP-Ständerat Maximilian Reimann unterstützt Schawinskis Forderung nach einem Gebührensplitting ausdrücklich: «Das Verschwinden von Tele 24 wäre ein verheerender Rückfall in die Informations-Einheitskost der SRG.» Auch die Sozialdemokratin Elisabeth Veya, ehemalige persönliche Beraterin von Bundesrat Moritz Leuenberger und Mitglied des SRG-Zentralrates, bedauert das Verschwinden von Tele 24: «Roger Schawinski hat die Medienlandschaft bewegt und die SRG aus dem Dornröschenschlaf geweckt.» Sie verweist wie viele andere Experten auf die Enge des Schweizer Markts.

Ein schlechter Trost für die Beschäftigten von Schawinskis Belcom-Gruppe. Selbst bei dem nicht bedrohten Radio 24 herrschte gedrückte Stimmung. «Im Sinn einer Opfersymmetrie sind auch wir am Rande vom Abbau betroffen», sagt ein Radioredaktor. Da bis Ende Monat nicht bekannt ist, wer gehen muss, herrscht allgemeine Ungewissheit: «Niemand weiss, wie es weitergeht.» Das drückt auf die Arbeitsmoral. Viele entwickeln Galgenhumor – beim Radio und beim Fernsehen.
Laut Martin Dumermuth vom Bakom würde ein Scheitern von Tele 24 nicht das endgültige Aus für das Privatfernsehen in der Schweiz bedeuten: «Besonders in lokalen und regionalen Märkten hat es eine Chance.» Zusammenarbeit sei allerdings Voraussetzung für das Überleben. Just dies scheint in der Branche allerdings unmöglich, wie Marco de Stoppani, Verlagschef der NZZ-Gruppe, erfahren musste. «Ich versuchte in der Ostschweiz vergeblich eine Kooperation unter den lokalen Fernsehsendern zu erreichen.» Jetzt müsse auch über die Zukunft des zur NZZ gehörenden Tele Ostschweiz gesprochen werden. Damit dementiert de Stoppani Gerüchte über eine Übernahme der Belcom-Gruppe durch die NZZ. «Lokalfernsehen gehört nicht zu unserem Kerngeschäft.» Es habe allerdings Gedankenspiele in der Sache gegeben. Doch ein Kauf wäre nur mit einem Partner wie der «Aargauer Zeitung» sinnvoll gewesen. Deren Verleger Peter Wanner will dazu keine Stellung nehmen.

In der Privat-TV-Branche herrscht nicht nur Trauer über Schawinskis Schwierigkeiten. Marc Friedli von TeleBärn spricht von einer «Hassliebe» gegenüber dem Medienpionier: «Wir hatten immer ein ambivalentes Verhältnis zu ihm.» Und Nationalrat Peter Weigelt vom Verein Regionalfernsehen Sankt Gallen sagt: «Der Markt ist ein System von Versuch und Irrtum. Da muss man ein Scheitern akzeptieren.»

Der Trubel der letzten Tage scheint Roger Schawinski nicht gut zu bekommen – seine Stimmung schwankt täglich. Am Montag dieser Woche erschien er seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aussergewöhnlich guter Laune. Einen Tag später gab er sich gegenüber FACTS ausgesprochen bedrückt. Schawinski sieht nicht nur sein Lebenswerk in Gefahr. Ihn belastet auch das ungewisse Los seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Schawinski wäre nicht Schawinski, wenn er für die Misere keinen Sündenbock gefunden hätte. Diese Rolle hat er Medienminister Moritz Leuenberger zugewiesen. Dessen Bekenntnis zu einer starken SRG lasse ein erfolgreiches Privatfernsehen in der Schweiz nicht zu. Bei Leuenbergers Departement (Uvek) indessen erinnert man an eine Prognos-Studie von 1998, die aufzeigte, dass kommerzielles Privatfernsehen einen schweren Start haben werde. Die Behörde hat Roger Schawinski bei der Konzessionserteilung darauf hingewiesen. Auch die Tamedia wurde darauf aufmerksam gemacht, die mit TV3 Verluste einfährt. Die Warnungen verhallten ungehört.
«Die Probleme bei Tele 24 der schweizerischen Medienpolitik anzulasten oder daraus einen Anspruch auf öffentliche Gelder ableiten zu wollen, erscheint wenig sachgerecht», heisst es in einer Mitteilung des Uvek. SSM-Gewerkschaftssekretärin Salva Leutenegger: «Schawinski wollte die SRG mit einem nationalen Sender konkurrenzieren und allen zeigen, dass er es besser kann.» Das konnte nicht gut gehen.

Das Parlament muss demnächst über eine Initiative des Appenzeller CVP-Ständerates und Werbelobbyisten Carlo Schmid beraten. Schmid verlangt, eine Lockerung der Werbebestimmungen für private Fernsehsender der Revision des Radio- und Fernsehgesetzes vorzuziehen. Diese Forderung unterstützen alle kommerziellen Fernsehbetreiber, die SRG widersetzt sich ihr nicht. Selbst wenn die Initiative Schmid an den Bundesrat überwiesen würde, wäre das Privatfernsehen nicht gesichert.
Die Medienpolitiker können Roger Schawinski nicht mehr helfen – selbst wenn sie es wollten. Aus seiner Sicht darf er sich somit schon heute zu Recht als Märtyrer sehen, dem niemand den Erfolg gönnte. Er wurde ihm allerdings auch nie versprochen.

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