Stau auf den Strassen – Ohne Stau läuft nichts

Stau auf den Strassen

Strassenberichte sind ein Hörermagnet. Die Radiostationen zanken sich um die aktuellsten Meldungen.

Es gibt Orte in der Schweiz, die sind weisse Flecken auf der Landkarte und doch von nationaler Bekanntheit: Mägenwil. Töss. Härkingen. Ihre Berühmtheit gründet nicht auf touristischem Reiz oder wirtschaftlicher Bedeutung, sondern auf ihrer häufigen Nennung am Radio. Praktisch täglich wird hier vor Stau auf den Strassen gewarnt.

Grauholz. Liebefeld. Pratteln. Kombiniert mit Begriffen wie «stockender Kolonnenverkehr» sind diese Orte ins Bewusstsein der Nation gelangt. Staumeldungen haben die Wichtigkeit von Wetterprognosen. Privatradios aktualisieren ihre Strassenübersichten während der Stosszeiten im Halbstundentakt.

Verkehrsmitteilungen sind für private und öffentlich-rechtliche Radiosender Content der Stunde. SRG und Private rüsten auf, denn sie haben erkannt, dass Autofahrer die treuesten Radiohörer sind. Mit laufend verbessertem Service soll diese Kundschaft bei der Stange gehalten werden. Je grösser die Mobilität, desto mehr sind News von der Strasse gefragt. Die Verkehrsmeldung ist für die Radiostationen zum Wettbewerbsargument geworden.

Die erste schweizerische Verkehrsnachrichtenagentur Traffix beliefert zurzeit vier Lokalradios zwischen Sankt Gallen und Bern. Gegenwärtig verhandelt der Betrieb zudem mit weiteren Lokalsendern, die den Verkehrsdienst allenfalls übernehmen wollen. Darüber hinaus werden neue Medien erschlossen. Traffix bietet zum Beispiel ab Januar seine Dienste Handy-Besitzern als SMS-Abonnement an – individuell und massgeschneidert für Ort und Zeit. Zusätzlich wird ein Audiophone-Service eingerichtet, bei dem sich mit den Tasten des Telefons Verkehrsbulletins regional abrufen lassen.

Auch die SRG mit ihren drei Senderketten baut aus und hat eigens in Biel die Verkehrsinformationsagentur Viasuisse gegründet. Die Aktiengesellschaft mit 25-prozentiger Beteiligung des Touring Clubs hat zum 1. Oktober dessen Genfer Verkehrszentrale übernommen. Diese Woche will Viasuisse über die ersten Betriebstage Rechenschaft ablegen.
Verkehrsnachrichten total. Im letzten August wurde bekannt, dass in Zürich Radio 24 den exklusiven und prestigeträchtigen Verkehrsinfoservice von Traffix zum Jahr 2002 an Konkurrentin Radio Z verliert. Inzwischen aber wird erneut verhandelt. Radio 24 wird Traffix-Meldungen weiterhin verbreiten. «Die Verhandlungen sind auf gutem Weg», bestätigt Traffix-Chef Jürg Fleischmann.

Brüttisellen. Sihlbrugg. Urdorf. Aktuelle Strassenberichte sind heute radiojournalistischer Pflichtstoff. Günter Heuberger, Präsident des Verbands Schweizer Privatradios, sieht den Grund in neuen Erkenntnissen über die Hörgewohnheiten. «Die Messmethode Radiocontrol hat überraschend gezeigt, dass nicht nur zwischen 7 und 9 Uhr intensiv Radio gehört wird, sondern unerwartet auch zwischen 16 und 18 Uhr», sagt Heuberger. «Angesichts der schwierigen Verkehrsverhältnisse in den Agglomerationen sind Verkehrsinformationen in verkehrsstarken Zeiten für ein Privatradio sehr bedeutend.»

Im Traffix-Studio im staugefährdeten Glattbrugg ZH sitzt Jürg Fleischmann, 38, am Mikrofon. Es ist Freitag, 16 Uhr vorbei, am Computerlautsprecher hat der Radio-24-Moderator eben die Nachrichten beendet. Fleischmann schiebt am Mischpult den Regler und teilt gelassen mit, dass etwa in Kemptthal im aufkommenden Feierabendverkehr mit ärgerlichen Behinderungen zu rechnen sei. Der Hörer merkt vom Ortswechsel nichts, er glaubt Fleischmann bei Radio 24.
1995 hat der Flugzeug- und Helikopterpilot Fleischmann (Lions Air) den Verkehrsinfoservice Traffix gegründet. Die Idee stammt aus Kalifornien. In Los Angeles bedient eine einzige Agentur 150 Radiostationen. Von diesem Anbieter hat die junge Traffix die Computersoftware bezogen. Heute ist es umgekehrt, Fleischmann liefert die Software-Updates nach Amerika.

Traffix bezieht seine Informationen aus rund 450 Quellen in der ganzen Schweiz – Taxifahrer, Polizeikommandos, SBB, TCS, Swissair, Tankwarte, Chauffeure von Verkehrsbetrieben, Automobilisten im Stau. Zukunftsweisend aber sind die rund 70 Kameras und ebenso vielen Bewegungssensoren, die an verkehrsneuralgischen Stellen montiert sind. Hier errechnet das Traffix-Computerprogramm selbstständig aus der Anzahl Fahrzeuge und ihrer Geschwindigkeit die Verkehrssituation und datiert sie laufend auf. Auch den Einfluss des Wetters bezieht die eigenentwickelte Software automatisch mit ein.

Der moderne Verkehrsnachrichten-Redaktor ist ein Computer. Möglich machts eine ausgeklügelte Codierung. Für das Traffix-Programm ist jede Hauptstrasse, jede Autobahn-Ausfahrt, jede Fahrtrichtung, jede Form von Verkehrsbehinderung nur ein fünfstelliger Code. Hat der Computer einmal die Codes erhoben und daraus eine Meldung formuliert, braucht sie von Angestellten nur noch verifiziert zu werden – etwa mittels Blick aufs entsprechende Kamerabild.

Baregg. Belchen. Schöneich. Traffix-Gründer Jürg Fleischmann hat eine Vision. Dereinst will er einen Stau nicht mehr in Kilometer Länge beziffern, sondern mit der Anzahl Minuten der Verzögerung. «Was nützt einem Autofahrer eine Längenangabe?», sagt Fleischmann. «Sieben Kilometer Stau am Baregg-Tunnel bedeuten eine Wartezeit von 10 bis 15 Minuten.

Drei Kilometer in Urdorf aber können eine Stunde ausmachen.» Ähnlich den Meteorologen, deren Computer aus seit Jahrzehnten erhobenen Wetterdaten eine Prognose errechnen, will auch Fleischmann künftig Verkehrsvorhersagen formulieren. Extrapolieren ist dank der Datenmenge möglich: Seit 1995 ist jede Traffix-Verkehrsmeldung samt Wochentag und Wetter abgespeichert.
Während Traffix Informationen aktiv beschafft, setzt die Agentur Viasuisse auf ein passives System. Bring- statt Hol-Prinzip: Seit Anfang Monat wird in Biel für die SRG-Sender gesammelt, editiert und in den drei Landessprachen formuliert, was die SBB, die Polizeikommandos der Kantone oder Verkehrsteilnehmer übers Handy melden. Auch Viasuisse plant, ihre Dienstleistungen über andere Medien abzusetzen, hier arbeitet man ebenfalls an der Zukunft von Verkehrsprognosen und an massgeschneiderten, persönlichen Verkehrsnachrichten via SMS. «Unser Ausbau liegt nicht in ferner Zukunft», verspricht Viasuisse-Geschäftsführer Mark Bögli.
Die neue Konkurrentin ärgert den Privatanbieter. «Damit werden Gebührengelder verschleudert», sagt Traffix-Gründer Jürg Fleischmann. «Der Grundgedanke ‹ein Land, ein Medium› funktioniert bei Verkehrsnachrichten nicht.» Fleischmann argumentiert, dass das Verlesen von Strassenmeldungen aus der ganzen Schweiz eine lange Viertelstunde dauern würde. «Deshalb muss sich Viasuisse auf die Autobahnen konzentrieren.»

Mark Bögli bestätigt, dass sich Viasuisse auf Verkehrsinformationen von nationalem Interesse beschränkt. Dennoch werden in Biel auch Meldungen von geringer nationaler Bedeutung gesammelt. Eine strategische Massnahme für die nahe Zukunft. «Wir leben von den Einnahmen, welche die SRG SSR idée suisse und der TCS als Abnehmer unserer Dienste zahlen», sagt Geschäftsführer Bögli und hält dem Vorwurf von fahrlässigem Umgang mit Konzessionsgeldern entgegen: «Wir haben den klaren Auftrag, neben unseren aktuellen Kunden SRG und TCS neue Abnehmer zu gewinnen.» Lokalradios etwa oder auch Geschäftskunden, ganze Verlagshäuser beispielsweise.

Diese Strategie verfolgt Traffix seit ihrer Gründung. Grossbanken und Versicherungen mit 2000 und mehr Angestellten zählten zu den ersten Kunden der Verkehrsagentur. Denn sie erkannten schon lange, dass Mitarbeiter ihre Fahrt in den Feierabend bei Stau besser verschieben und länger im Büro bleiben. Gleitende Arbeitszeit – verkehrsnachrichtengesteuert.

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