«Sex and the City» – Einfach nur Sex
Miranda ist eine erfolgreiche Rechtsanwältin in New York. In einem gediegenen Restaurant in Manhattan feiert sie mit ihren drei besten Freundinnen den 30. Geburtstag. Eine von ihnen macht Miranda und der Frauenrunde ein ganz besonderes Geschenk: Eine Weisheit, die das Leben der vier entscheidend verändert. «Um glücklich zu sein», rät die Freundin, «müsst ihr Sex haben wie Männer. Einfach Sex, ohne Gefühl.»
So beginnt die erste Folge der Comedy-Serie «Sex and the City», die vor einem Monat auf Pro 7 und ORF 1 angelaufen ist. Die Sendung ist das witzigste und innovativste Programm der letzten Jahre. Noch nie haben Männer Frauen derart über Männer reden hören. Und noch nie haben Frauen mit ihren Männergeschichten Frauen so gut unterhalten. Was Frauen immer schon über Sex sagen wollten, in «Sex and the City» ist es zu hören.
Als die Comedy-Sendung mit dem programmatischen Titel vor drei Jahren im prüden Amerika anlief, befürchteten die Fernsehmacher eine Welle der Empörung. «Bitte schau dir ‹Sex and the City› nicht an – nur schon wegen der derben Ausdrücke», hatte beispielsweise Kristin Davis, eine der Schauspielerinnen der Serie, ihre Mutter vorsorglich gebeten.
Doch es kam zu einer Welle der Begeisterung. Sie brachte dem Pay-TV-Kanal HBO dieses Jahr vier Golden-Globe-Auszeichnungen ein. Die Serie verzeichnete Höchstquoten. 6,6 Millionen politisch korrekte Amerikaner, mehrheitlich Frauen, schauten zu Spitzenzeiten hin. Anzunehmen ist also, dass selbst Davis’ Mutter der Bitte ihrer Tochter nicht entsprochen hat.
Jetzt ist die Begeisterungswelle in die deutsche Schweiz geschwappt. Zum Sendestart schauten 112’000 Schweizerinnen und Schweizer zwischen 15 und 49 Jahren die Serie auf Pro 7 – Marktanteil 13,6 Prozent. Das sind für einen deutschen Privatsender in der Schweiz respektabel gute Quoten. Im Durchschnitt bringt es SatC, wie «Sex and the City» von Liebhabern abgekürzt genannt wird, auf 79’600 Zuschauer und 10,5 Prozent Marktanteil.
«Let’s talk about sex» – im Musikgeschäft ist das Thema seit dem Hitparaden-Song der Frauengruppe Salt ‘n’ Pepa vor zehn Jahren nicht mehr neu, im Fernsehgeschäft aber schon. «‹Sex and the City› ist anders als alle anderen Serien», sagt Beny Kiser, Experte für Serien und Fiktionales beim Schweizer Fernsehen. «Erstmals geht die Frau auf Aufriss und berichtet somit von ganz anderen Bettgeschichten als üblich.» SF DRS hat die Serie geprüft, mangels freier Ausstrahlungsplätze nach 22 Uhr aber keine Kaufverhandlungen aufgenommen. Anders in der Westschweiz. TSR strahlt SatC seit 1999 aus und erreicht regelmässig einen guten Marktanteil zwischen 23 und 30 Prozent bei den 15- bis 49-Jährigen. «Die Serie entspricht den Erwartungen des jungen Publikums», sagt Pressesprecherin Manon Romerio.
Willkommen bei «Sex and the City». Vier Freundinnen – eine Kolumnistin, eine Männer verschlingende PR-Agentin, eine feministisch angehauchte Rechtsanwältin und eine romantische Galeristin – leben und lieben in New York. Sie sind alle über 30, sie sind erfolgreich im Beruf. Einzig mit den Männern klappts nicht. Ohne aber auch nicht.
Samantha legt im Hotel den Portier flach. Charlotte trifft Jack, aber der will Sex zu dritt. Mirandas Liebhaber muss nach dem Sex immer gleich unter die Dusche. Carrie liebt Mr. Big, liebt ihn nicht, liebt ihn doch, liebt ihn nicht. Jede Woche treffen sich die Freundinnen, mal zu Hause, mal in einem Restaurant, und erzählen von ihren Beziehungsgeschichten. Gezeigt, etwa in Gross-aufnahme, wird nichts, angedeutet alles.
Eine der vier Frauen, die Journalistin Carrie, wertet die Geschichten gar professionell aus. Sie schreibt in der Zeitung wöchentlich eine Kolumne mit dem Titel «Sex and the City». Hier behandelt sie Fragen wie «Ist Analsex legitim?» Oder: «Kann ein rosaroter Vibrator mit Namen Rabbit (Kaninchen) befriedigender als ein Mann sein?» Oder: «Warum schämen wir uns vor unseren Freundinnen manchmal für die Männer, mit denen wir Sex haben?»
SatC basiert auf dem Roman der amerikanischen Journalistin Candace Bushnell. In den Neunzigerjahren schrieb sie für den «New York Observer» regelmässig eine Kolumne über das merkwürdige Verhalten der Grossstädter zur Paarungszeit. Aus der erfolgreichen Kolumne wurde erst ein Buch, dann eine TV-Serie. Sie geht mittlerweile in die vierte Staffel; neue Folgen sind für Januar 2002 angekündigt.
«Männer wollen es. Frauen erst recht», heisst der Werbeslogan zur Serie und müssen sich Männer nun belehren lassen, die bislang glaubten, über Sex-Abenteuer würde nur unter ihresgleichen gesprochen. «Die Serie ist aus dem Leben gegriffen», sagt Eliane Schweitzer, Sexberaterin der Zeitung «Blick». «Frauen haben sich schon immer untereinander detailliert und sehr direkt über ihre Macker ausgetauscht.» Der hat einen Kleinen, der kann nicht richtig – solche Gespräche sieht sie als Reaktion der Frau auf eine Gesellschaft, in der die Macht noch immer beim Mann liegt. «Lästern über Männer war und ist noch heute die heimliche und teils perfide Rache der Frau. Denn im Bett hat sie die Macht.»
Ursula Ganz-Blättler, Medienwissenschaftlerin an der Universität Genf mit Fachgebiet US-Serien, stellt den Erfolg von SatC in einen kulturellen Zusammenhang: «Jahrelang wurde über Sex nur in Form medizinischer Diskurse – Stichwort: Safer Sex – gesprochen. Heute indessen geht es auch um Lust am Sex.» Doch das Thema allein erklärt keine Quote. «Die Geschichten sind spritzig und überraschend, humorvoll und auch sentimental», sagt Ursula Ganz-Blättler. «Wir Frauen finden freche Frauen lässig.» Und wissenschaftlich interessant dazu. Eine Studentin der Universität Genf schreibt gegenwärtig an ihrer Lizenziatsarbeit über «Sex and the City». Thema: Analyse des Gesprächsverhaltens.
Mit grossem Aufwand bewirbt Pro 7 die Serie. Neben üblichen TV-Spots und Inseraten hat der Sender erstmals für eine einzelne Sendung in der Schweiz Plakate ausgehängt und Radiospots geschaltet.
Der Werbeaufwand ist aus kulturellen Gründen notwendig. In Amerika, wo Gewalt im Fernsehen gesellschaftlich kaum diskutiert wird, macht eine Serie wie «Sex and the City» allein schon auf Grund ihres Themas Schlagzeilen – und damit Quote. In Europa ist es umgekehrt. Hier rufen Gewaltdarstellungen Empörung hervor, Sex dagegen nicht. Für Beachtung muss geworben werden.
Sarah Jessica Parker in «Sex and the City», Calista Flockhart als «Ally McBeal», Renée Zellweger in «Bridget Jones’s Diary» – Frauen vom Typ eines Woody Allen erobern den Bildschirm. Soziologin Ganz-Blättler hat eine Welle der nicht mehr ganz jungen Frauen mit erfülltem Berufsleben ausgemacht, die ihr Privatleben thematisieren. Das ist das fiktional Neue an SatC: «Am Fernsehen dominierte über Jahrzehnte ein einziges Frauenschema», sagt Ganz-Blättler. «Die Frau war Sekretärin, Opfer oder Femme fatale.» Für die Wissenschaftlerin stellt sich nun die Frage, ob dieser Reihe nur ein neues Klischee hinzugefügt wird oder ob diese Serien und Filme den Aufbruch zu einer Vielfalt von Protagonistinnen darstellen. Zu hoffen wärs.