Schöne und brauchbare Möbel und Inneneinrichtungen zu entwerfen

Möbel

Schöne und brauchbare Möbel und Inneneinrichtungen zu entwerfen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Vor allem, wenn die Wohnung auf den Mars geschickt werden soll.

Ob man ihn bei Tip-Top-Möbel zum Sparpreis kauft oder von einem Stardesigner entwerfen und aus edlen Materialien fertigen lässt: ein Tisch ist ein Tisch. Vier Beine und eine Platte, und man kann sich daran setzen, daran essen, arbeiten und sich Gedanken machen, wie dieses ebenso simple wie unentbehrliche Möbelstück aussehen müsste, stünde es in einer Weltraumwohnung.

Dann nämlich stünde es nicht. Schwerelos schwebte es im Zimmer, die Beine wären nutzlos. Gleiches gilt für den Stuhl, der überdies auch keiner Lehne bedürfte, um den gewichtslos gewordenen Körper zu stützen. Als Weltraummöbel müssen beide andere Qualifikationen erfüllen. So müssen nicht nur Tischplatte und Sitzfläche miteinander verbunden, es muss mit einer Haltevorrichtung auch dafür gesorgt sein, dass der Benutzer das Ding nicht von sich wegstösst, wenn er den Kugelschreiber aufs Papier setzt oder mit der Gabel in die Kartoffel sticht. Und überdies sollte die Konstruktion so einfach sein, dass aus dem Vorgang des Sich-zu-Tisch-Setzens kein artistischer Akt wird.

Der Beruf des Weltraumarchitekten, der sich mit solchen Designproblemen auseinandersetzt, ist nicht eben verbreitet auf unserem Planeten. Die Nasa beschäftigt nicht einmal ein Dutzend Leute, die sich mit der Gestaltung von Lebens- und Arbeitsräumen im All und der Konstruktion von weltraumtauglichem Mobiliar befassen. Doch der Beruf hat Zukunft. Die Internationale Raumstation (ISS), die in 370 Kilometern Höhe unsere Erde umkreist, wird gern als die «grösste Baustelle der Menschheit» bezeichnet. Die Erfahrungen ihrer Besatzungen mit dem Leben im schwerelosen Raum werden entscheidend sein für das kühnste Projekt, das in zwanzig Jahren startreif sein soll – die bemannte Mission zum Mars. Zwei Jahre werden Astronauten fern der Erde in einer Wohngemeinschaft leben, die sie nicht verlassen und deren Tapeten sie nicht wechseln können. Allein die Hin- und Rückreise dauert je fünf bis sechs Monate, was heisst, dass die Raumfahrer insgesamt fast ein Jahr im schwerelosen Zustand verbringen werden.

Andreas Vogler, wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Universität München, macht sich jetzt schon Gedanken darüber, wie ein solches Habitat aussehen müsste, damit seinen Bewohnern die Decke nicht auf den Kopf fällt. Jahrgang 1964, kann Vogler sich noch gut an den Tag erinnern – er war eben fünf -, als sein Vater sich mit ihm vor den Schwarzweiss-Fernseher setzte, um die Übertragung der ersten Landung von Menschen auf dem Mond zu verfolgen. Die Begeisterung für die Raumfahrt hat den gebürtigen Basler, der an der ETH Zürich Architektur studierte, nicht losgelassen. Als 1998 bekannt wurde, dass die ISS neben dem Servicemodul «Swesda», dem Funktionsmodul «Zarja» und dem Verbindungsknoten «Unity» auch ein Wohnmodul erhalten soll, sah Vogler seine Chance gekommen. Er schlug seinem Professor Richard Horden und den Kollegen vor, einen zweisemestrigen Kurs für Weltraumarchitektur zu geben mit dem Ziel, die Inneneinrichtung dieses Moduls zu entwerfen.

Horden brauchte nicht lange überredet zu werden. Der Engländer hatte sich als Promotor der «Light Architecture» einen Namen gemacht und mit der Aufstockung des St. Marks Hospital in Northwick Park bei London ein Zeichen gesetzt, was er darunter verstand: luftige Aluminiumkonstruktionen, die, im Doppelsinn des englischen «light», leicht und licht sind. Der Schritt in den schwerelosen Raum passte gut ins Programm.

Doch wie aller Anfang war auch dieser schwer. Von der Nasa bekamen Vogler und seine Studenten weder schriftliche Unterlagen noch Pläne über Dimensionen und vorgesehene Ausstattung des Wohnmoduls, so dass sie die wichtigsten Parameter aus allgemein zugänglicher Literatur, aus dem Internet und mit direkten Messungen an Modellen erst zusammentragen mussten.

Der Kurs für die zehn Studentinnen und Studenten, die sich als Weltraum-Innenarchitekten versuchten, sollte jedoch nicht zur Trockenübung werden. Der deutsche Astronaut Reinhold Ewald stand mit Rat zur Seite, und über Professor Eduard Igenbergs vom Münchner Institut für Luft- und Raumfahrt wurde der Kontakt zur Nasa hergestellt. Mit ihren Fachleuten war man über Internet und in Videokonferenzen in ständigem Austausch, um all den technischen Anforderungen gerecht werden zu können.

Mit solchem Erfolg, dass man der Nasa im Frühjahr 1999 im Johnson Space Center in Houston die Ergebnisse der Arbeit präsentieren durfte. Die Amerikaner waren von der Demonstration der jungen Akademiker so beeindruckt, dass sie ihnen vier Parabelflüge in ihrem «Weightless Wonder», einer Boeing KC-135, anboten, um die Prototypen der Weltraummöbel zu testen. Im Flugzeug, das über dem Golf von Mexiko auf 10 000 Meter Höhe steigt und im Sturzflug abgefangen wird, kann während 20 Sekunden Schwerelosigkeit erzeugt werden; dies pro Flug vierzigmal hintereinander. Zuvor hatten die Kursteilnehmer ihre Schöpfungen im Schwimmbecken des Münchner Olympiastadions unter Wasser erprobt, wo allerdings nicht wirkliche Schwerelosigkeit herrscht.

Der Aufbruch in den schwerelosen Raum war ein Weltraumabenteuer im Kleinen. Andreas Vogler fühlte sich an einen Traumzustand erinnert, als er erstmals im leergeräumten Bauch der Boeing schwebte. Der Körper nimmt, da die Muskelspannung nachlässt, unwillkürlich eine fötale Haltung ein; will man vorwärtskommen, versucht man es mit Schwimmbewegungen, die jedoch nichts fruchten. Alles ist anders: Verschüttetes Wasser schwebt als Ball durch den Raum, die Flamme einer Kerze hat Kugelgestalt, und das Kohlendioxid, das man ausatmet, würde einen bald in eine gefährliche Blase hüllen, wäre nicht für gute Lüftung gesorgt. Tätigkeiten, an die man normalerweise keinen Gedanken verschwendet, werden plötzlich kompliziert, da alles in allen Richtungen von einem weg- und auf einen zufliegt. Kein Wunder, dass es in Raumstationen rasch unaufgeräumt aussieht; ein Eindruck, der nicht besser wird durch die zahllosen Klettbänder, mit denen die Besatzungen jeweils den Innenraum von oben bis unten verkleben, um ihre Siebensachen festzumachen.

Wie wäscht man sich unter solchen Bedingungen? Wie schläft man? Verstaut etwas? Neben ihrer Tisch-Stuhl-Kombination testete die Münchner Equipe vier weitere Produkte, die sie entwickelt hatte: eine Dusche, ein Bett, ein Behältersystem und einen Mülleimer.

«Flow», das Pult mit integriertem Sitz, ist zusammengeklappt nicht viel grösser als eine Aktentasche. Gesäss und Oberschenkel werden zwischen zwei ausschwenkbaren Platten fixiert, die verhindern, dass sich das Möbel auf und davon macht. Mittels ausziehbarer Gummibänder können Laptop und Notizblock auf der Tischplatte festgemacht werden; der Arbeitsplatz passt an die Racks der ISS. Die Dusche PHA («Personal Hygiene Assistant»), einhändig bedienbar, besteht aus einem Schwamm-Duschkopf, der von einem mit Löchern versehenen Gummiring eingefasst ist, durch den das in den Schwamm gepumpte Wasser gleich wieder abgesaugt und dem Kreislauf der Station eingespeist wird. (Heute muss sich die ISS-Crew mit Feuchttüchern waschen; Weltraumduschen gibt es wegen des Risikos von Kurzschlüssen durch frei umherschwebendes Wasser bisher keine.) Da Astronauten, wie die Erfahrung zeigt, das Gefühl des Eingebettetseins im schwerelosen Schlaf vermissen, sorgt «SpaceBed» mit einem ausgeklügelten System von aufblasbaren Kissen dafür, dass Kopf und Körper beweglich bleiben und doch mit sanftem Druck gehalten werden. Im Containersystem «Bocs», einem Spind für persönliche Habseligkeiten – zwei Kilo darf jedes Besatzungsmitglied mitnehmen -, sind diese sicher verwahrt. Und der Mülleimer Net («Non effusing trash receptacle») des Architekten Hans Huber schliesslich behält, was man ihm überantwortet, auch bei sich – was leichter verlangt als konstruiert ist.

Einfache Handhabung ist bei allen Gegenständen von grösster Wichtigkeit; was unbrauchbar ist, pflegen Astronauten nicht zu benutzen. Bei einem Preis von 20 000 Dollar, die es kostet, um ein Kilogramm Material in den Orbit zu bringen, kann man sich schlechtes Design nicht leisten. Hoch sind auch die Anforderungen an die Materialien. Sie dürfen nicht brennbar und müssen frei von «outgassing» sein – die Moleküle, die normale Kunststoffe ausdünsten, würden die Atmosphäre bald vergiften.

Ob die Wohnausrüstung aus München, die sich in den Tests bewährt hat, je den Weg ins Weltall finden wird, ist ungewiss. Zurzeit ist nicht einmal sicher, dass das Wohnmodul, das plangemäss 2005 an die ISS angedockt werden soll, überhaupt gebaut werden wird. Wenn, dann ist die Munich Space Design Group von Andreas Vogler möglicherweise mit im Rennen.

Mit der privaten Mars Society, einer amerikanischen Gesellschaft von Ingenieuren, Technikern und Finanzleuten, denen die Nasa zu langsam vorwärtsmacht, arbeitet sie jetzt schon zusammen, um die Wohnkapsel für den Flug zum Roten Planeten zu gestalten. Eine Sache, die gut überlegt sein will. Auf ihrer Reise zum Mars werden die sechs Astronauten, wenn sie aus dem Fenster blicken, nichts sehen als das Schwarz des Weltalls. Und sind sie dann auf dem Planeten gelandet, nichts als rote Wüste. In welchen Farbtönen soll der Wohnraum gestaltet sein? Mit welchen optischen Mitteln kann man ihn grösser erscheinen lassen, als er ist? Und wie schafft man auf kleinstem Raum die Privatsphäre, die auch der hartgesottenste Weltraumabenteurer für seinen Seelenfrieden braucht?

Schöner Wohnen ist das mindeste, was einer verlangen kann, der die Gefahren einer Marsexpedition auf sich nimmt. Der Preis ist hoch. Er wird verstrahlt zurückkommen, muss damit rechnen, dass die Knochen seines Skeletts um einen Drittel abgebaut, die Zähne ausgefallen sind. Nur Bewerber über vierzig, die bereits Familie haben, kommen für die Mission in Betracht.

Der Nutzen des Unternehmens, wie der bemannten Raumfahrt überhaupt, ist umstritten. Wer von Verschwendung redet, sollte bedenken, dass kaum etwas das Bewusstsein für Ökologie so geschärft hat wie der Blick von aussen auf den Blauen Planeten, unsere in eine verletzliche Atmosphäre eingehüllte Erde. Das sei es schliesslich, meint Andreas Vogler, was ihn an der Sache reize: Nicht nur, dass man über seine Nasenspitze hinaus einen Blick in die Zukunft tut, sondern auch Erkenntnisse gewinnt für das Leben hier und jetzt.

Extreme Bedingungen und fehlende Erfahrungswerte machen das Design selbst zum Abenteuer. Nicht einmal die Russen, die sich in Langzeitaufenthalten im Kosmos am besten auskennen, aber kaum darüber publizieren, wissen, worauf es alles ankommt. Der Rat, der in Houston kursiert, wenn ein unerwartetes Problem auftritt, hilft auch dem Designer nicht weiter: «Frag Juri!»

 

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