Schnauze voll – Hundehalter gehen zum Angriff über

hitler blondi

Hundehalter gehen zum Angriff über. Sie gründen die Hundepartei.

Auch Hitler liebte seinen Hund. Wenn seine Schäferhündin «Blondi» treudeutsch zu ihm aufblickte, dann blitzte sogar in den Augen des Diktators etwas Menschliches auf, und er tätschelte der vierbeinigen Gefährtin gerührt den Kopf.

Kamerad Hund muss nun mal akzeptieren, bei wem er mitlaufen darf. Doch die Mehrheit der Caniden hat, in allen westlichen Ländern zumindest, mehr Glück mit ihrem Alpha-Tier als «Blondi».
So können die beiden Zürcher Skye-Terrier «Goya» und «Bessica» froh sein um ihr Herrchen. Der Zürcher Rechtsanwalt Andreas von Albertini opfert derzeit Stunde um Stunde seiner wertvollen Freizeit, um bis Ende September die «Hunde-Partei» auf die Beine zu stellen. Statuten und Resolution sind ausgearbeitet. Jetzt wartet der künftige Parteipräsident nur noch darauf, dass ihm massenhaft unterschriebene Beitrittserklärungen ins Haus flattern. Er hat sie an Sympathisanten versandt beziehungsweise an Örtchen ausgelegt, die von Hundehaltern regelmässig frequentiert werden.

Die «Hunde-Partei», kurz HUP, soll das Hundeanliegen von Zürich aus in den letzten Winkel der Schweiz tragen. «Frauen und Männer aus allen Bevölkerungskreisen», Ausländer eingeschlossen, werden sich verpflichten, fortan der «Förderung von Achtung und Toleranz gegenüber den in Gemeinschaft mit dem Menschen le-benden Hunden» zu dienen. Ausdrücklich lehnen es die künftigen Parteimitglieder ab, sich in den Niederungen des allgemein-politischen Geschäfts zu verstricken. Ihr Programm beschränkt sich weit gehend auf das Ziel, den Liebling vom Leinenzwang zu befreien und ihn vor sadistischen Wohnungsvermietern zu schützen. Hundefeindliche Bestimmungen in Mietverträgen – eine «Diskriminierung» – sind abzuschaffen. Dem Hund sei zudem, «solange er von seinem Halter begleitet wird», ein «Grundrecht auf freien Auslauf auf den der Öffentlichkeit zugänglichen Orten» zu garantieren.
Die Hauptgegnerin, die es zu verbellen gilt, ist schon ausgemacht: Esther Maurer, Vorsteherin des Polizeidepartements der Stadt Zürich. Sie sei es gewesen, sagt Aktivist Albertini, die mit ihren Kampagnen für ein sauberes Zürcher Seeufer den leidigen Leinenzwang zum Streitfall gemacht habe, «vor ihrer Zeit war es noch ganz anders». Denn sei das Zürcher Seeufer vielleicht eine Parkanlage? Da solle doch das Amt bitte erst einmal die Begriffe bissfest definieren. Wahrscheinlich, argwöhnt er, könne die Frau Stadträtin eben keine Hunde leiden.

Esther Maurer ihrerseits verteidigt ihr Revier: Selbstverständlich sei das Zürcher Seeufer eine Parkanlage, das sei «klar erkennbar», sagt ihr Pressesprecher Reto Casanova, das sehe jeder, dazu müsse man sie nicht noch «extra einzäunen». Ausserdem habe das Polizeidepartement lediglich ein kantonales Leinenzwang-Gesetz von 1973 «wieder aktiviert» – nachdem, wohlgemerkt, «uns sehr viele Beschwerden über Verschmutzungen erreicht haben».

Es stinkt zum Himmel. Dennoch scheint das Sympathisanten-Reservoir für die HUP schier unerschöpflich: In der Schweiz leben rund eine halbe Million Hunde, deren Herrchen und Frauchen mit solcher Liebe an ihnen hängen, dass sie sich laut Krankenstatistik zwei Tage lang arbeitsunfähig schreiben lassen müssen, wenn Fido für immer die Augen schliesst. Doch auch an Feinden, unerlässlich zur Festigung des Rudelgefühls, wird es nicht mangeln. Die Toleranz von Nichthundebesitzern gegenüber Hundehaltern sei «sehr klein» geworden, sagt Urs Schenker vom Diensthundewesen der Stadtpolizei Zürich. Noch vor ein bis zwei Jahren sind pro Monat 10 bis 15 Anzeigen wegen Hundevergehen eingegangen. Heute zählt er im selben Zeitraum 40 bis 50.
Die Öffentlichkeit ist «sensibilisiert», das bestätigt auch der Zürcher Tierethik-Spezialist Klaus Peter Rippe. Radikale Elemente auf beiden Seiten schrecken selbst vor Tätlichkeiten nicht zurück. In Küsnacht ging im Juli ein potenzieller «Hundemörder» um, der vergiftete Köder auslegte. In Zürich wurde eine Hundehalterin selbst zum Tier. In Rage biss die entfesselte Dame zu – das Opfer war eine alte Frau, die sich ängstlich über das Tier beschwerte.

Im Normalfall bleibt es jedoch bei Verbalattacken. So fragte Jürg Ramspeck, Kolumnist des «Blicks», mit Blick auf die zu gründende Hundepartei despektierlich, ob es denn bald «Gegenstand rechtlicher Erörterung» werde, «ob schwule Hunde heiraten dürfen»? Weniger subtile Humoristen wollen wissen: Was hat vier Beine und einen Arm? Richtige Antwort: ein glücklicher Pitbull. Typisch für den harschen Tonfall auf beiden Seiten auch der Leserbrief einer Rosemarie Keller aus Baden. In der «Aargauer Zeitung» klagt sie, wie sie einen Hundehalter «dazu aufforderte», im Wald auf öffentlichem Weg den Hund anzuleinen, der bellend auf sie zusprang: «Anstatt meiner Aufforderung Folge zu leisten, meinte er frech: ‹Wenn Sie vor Hunden Angst haben, so gehen Sie doch gar nicht spazieren.›» Sie ist empört: «Wie lange müssen wir uns noch von nicht erzogenen Hunden und deren (nicht erzogenen) Besitzern tyrannisieren lassen?»

Was sind das nur für Menschen? Den Hunderechtlern tut so viel Bosheit weh bis ins Mark. Es sind sympathische Bürgersleute mit ebenso sympathischen Hunden. Fast alle aus der Generation, die ihren Kindern noch beigebracht hat, Danke und Bitte zu sagen. Der Beutel für den Hundekot gehört für sie so selbstverständlich in die Handtasche wie das saubere Taschentuch.
«Etwas gegen den Hund zu sagen, heisst für viele, an ein Heiligtum zu rühren, das der Mensch hat.» Dieses Kurt-Tucholsky-Zitat ist der Lieblingsspruch der enthusiastischen Verfechterin der Hunderechte, Maja Stähelin, einer liebenswerten Dame aus Ascona, die ihrem von seinen Vorbesitzern traktierten Findelkind, dem französischen Rassehund «Steffi», ganz neue Lebensperspektiven eröffnet hat. So rücksichtsvoll ist sie, dass sie sich dreimal entschuldigt, wenn sie im Zug ein Handy-Gespräch führen muss, und so fern von jeder zynischen Anwandlung, dass ihr nie in den Sinn käme, dass Tucholskys Zitat doppelten Boden haben könnte – bezeichnete doch der Satiriker die Hündeler auch als «erbarmungslose Menschen, die einen Kommunisten vor ihrer Tür verbluten» lassen.

Maja Stähelin lebt «nur für die Kreatur», sie sammelt jeden Regenwurm von der Strasse, und sie mag gar nicht daran denken, dass es Wasser auf die Mühlen der Hundefeinde ist, wenn wieder einmal sechs streunende Hunde, wie im August vergangenen Jahres auf einer Wiese im Raum Wangser- und Melserberg, 20 Schafe reissen. Ist bei solchen Vorfällen nicht immer der Mensch in seiner Schlechtigkeit schuld? Sind nicht sogar die tiefer gelegten Beisser nichts als arme Zuchtkrüppel? Im Zweifel, klagen die Hundefreunde, sind die Hundehasser immer gegen den Angeklagten,

den Hund – obwohl der doch nichts dafür kann, wenn der Bewegungsreiz vor seiner Schnauze nicht durch einen Ball, sondern durch einen rennenden Jogger ausgelöst wird. Oder ein Kind. «Die Kinder sind oft das Problem», sagt der Stadtzürcher Alain Albisser. Der Besitzer der Dalmatiner-Sennenhundmischlingshündin «Jaga» – einer Seele von Hund, die beim Tollen auf der Allmend Brunau bei Zürich wirklich «nur spielen will» – ist easy drauf und bestimmt kein Hunde-Fundamentalist. Doch stellt er fest, dass «viele Stadtkinder heute gar nicht mehr wissen, wie sie mit einem Hund umgehen sollen. Oft liegt es an den Eltern, die überängstlich reagieren.»
Dabei ist es in der Schweiz gar nicht so schlimm. Hier gibt es, anders als in Deutschland, wo das Hundescharmützel teilweise bis zur Hysterie ausgefochten wird, keine zähnefletschenden Elternvereine. Niemand schäumt, es fehle wohl nur noch der «Leinenzwang für Kinder». Nicht einmal der Schweizerische Kinderschutzbund hat etwas gegen Hundehalter. Dass Kinder gegenüber Hunden das Nachsehen hätten, «war bei uns noch nie aktuell», sagt Geschäftsführer Franz Ziegler. Im Gegenteil, er findet es «schön, dass sich Menschen für ein Anliegen organisieren». Nur wenn jemand auf die Idee käme, die Würde des Hundes, frei herumzulaufen, über das Recht des Kindes zu stellen, «dann müssten wir uns über die Bücher setzen». Aber nur dann.

Warum also das ganze Hundetheater? Schliesslich ist auch ein im Käfig gehaltener Wellensittich ein armes Schwein, und niemand hat je von einer Wellensittichpartei gehört. Des Pudels Kern sitzt für jeden woanders. Am selbstlos-sittlichen Einsatz des künftigen Hundepartei-Präsidenten etwa ist nach dessen Einschätzung klar die Obrigkeit in ihrer Willkür schuld. Am 19. Juni 2001, einem Dienstag, wurde er – «ich bin kein Hündeler und hätte früher nie an eine Hundepartei gedacht» – am hellen Nachmittag Opfer eines Wildwestübergriffs. «Goya» und «Bessica» stromerten am Zürcher Seefeldquai in Höhe des Restaurants «Fischstube» frei herum. Prompt näherten sich zwei berittene Polizisten – «im Galopp», wie sich Gattin Verena Albertini erinnert, die ebenfalls zugegen war. Nach ihren Worten kreisten die wilden Reiter Paar und Hunde nach Cowboy-Manier ein. «Nehmen Sie die Hunde an die Leine», lautete die barsche Anweisung. Dieser folgten die Albertinis, wie sie zugeben, so wenig wie der Forderung, den Ausweis zu zücken. Der friedliche Spaziergang nahm ein unschönes Ende, als ein Ordnungshüter vom hohen Ross herabstieg und Verena Albertini am Kragen packte. Nach einem Telefonanruf des Feldweibels rückte schliesslich Verstärkung an, vier Mann hoch. «Ich hätte wohl den Gessler-Hut ziehen sollen», ärgert sich Verena Albertini. Dass man sich als honorige Bürger so was bieten lassen müsse, kann nicht angehen, findet ihr Mann, «diese Eiterbeule muss aufgestochen werden».

Dass es so weit eskalieren musste mit dem Hundestreit, liegt auch in der Natur des Lieblingshaustiers begründet. Seit sich das «Companion-Animal», wie Verhaltensforscher sagen, vor 140’000 Jahren schwanzwedelnd ins Herz des Menschen geschlichen hat, gilt der Hund vielen als der bessere Mensch. Immerhin sind Hund und Mensch genetisch zu 95 Prozent identisch – was objektiv nicht viel sagt, da es der Canide in menschlichen Fertigkeiten wie dem Ausfüllen von Steuererklärungen noch nicht sehr weit gebracht hat. Doch subjektiv sieht die Sache anders aus. Kein anderes Tier wirft sich so vor Herrchen in den Staub wie der Hund, keines leidet so herzerweichend mit, wenn Frauchen traurig ist, keines rettet so diensteifrig Lawinenopfer, und keines beschützt so hingebungsvoll alte Menschen vor dem sozialen Tod in tristen Betonwüsten. Eben da liegt der Hund begraben.

Der heutige Mensch haust mehrheitlich in Intensivhaltung. Und Kamerad Hund ist nicht stadtkompatibel. 1900 lebten 3’315’400 Menschen in der Schweiz. 1999 bereits 7’164’444. Von denen könnte mancher zum Mörder werden, wenn Nachbars Töle mal wieder die misstönende Stimme zur Unzeit erschallen lässt. «Es gibt viele Menschen, die nicht wissen, wie man einen Hund hält», sagt Fritz Blaser, Leiter der Rechtsabteilung des Zürcher Hauseigentümerverbands. «Da hören wir dann Klagen über Dauergekläff oder nach Urin stinkende Teppiche.» Denn leider muss sich der Companion täglich «lösen», wie die Hundehalter es nennen. Er macht grosse Haufen. Mindestens 60 Tonnen Kot setzen die Schweizer Wald- und Wiesen-Vierbeiner laut «Cash» täglich in die Welt. Rund 85 Prozent beseitigen die Hundebesitzer. Dennoch bleiben pro Tag 10 Tonnen Exkremente liegen. Die saftigen Tretminen sind gefährlich. Im Kanton Bern sollen pro Jahr «200 trächtige Kühe ihre Föten infolge Hundedrecks im Gras verlieren», aber das behauptete die deutsche Illustrierte «Stern», und das auch noch in einem Artikel mit Anti-Hunde-Tendenz.

Bei solchem Unrat sträuben sich dem braven Hundefreund die Nackenhaare. «Wir alle haben unsere Plastiktüten dabei», beteuert Hundepartei-Mann Albertini. Was für Leute wie ihn sicher gilt. Von den Benutzern des Limmatuferwegs wird anderes berichtet. Der verdiente eher den Namen «Kackallee». Trotzdem mag Walter Gehriger, der stellvertretende Chef der Pressestelle der Zürcher Stadtpolizei, den übergeordneten Sauberkeitswillen der Hundefreunde nicht gering einschätzen: «Bei denen ist es nicht anders als bei den Autofahrern oder den Velofahrern. Der Grossteil hält sich an die Vorschriften. Uneinsichtige Personen gibt es überall.»
Nach Hunderechtler Albertinis Wünschen wird das feierliche Memento der HUP-Bill of Rights noch diesen Monat auf dem Zürihorn verlesen – am liebsten von einem Schauspieler. Dass sich bereits ein Fähnlein Aufrechter von 40 Interessenten für den Dienst am Hund gemeldet hat, sieht er als gutes Omen für eine lichte Zukunft der Bewegung. Denn sind nicht, so fragt er, aus dem Engagement von Freiwilligen «die Menschenrechte entstanden»? Und wo wären die Schwarzen in Amerika ohne Martin Luther King?

Viel Feind und somit viel Ehr sind ihm gewiss. Fritz Blaser vom Zürcher Hauseigentümerverband denkt nicht daran, zu kuschen: «Wir halten uns ans Bundesgericht. Das hat festgestellt, dass ein Hund nur mit Zustimmung des Eigentümers gehalten werden darf.» EVP-Nationalrat Heiner Studer wagt den Hinweis, dass es «in anderen Ländern sogar Bierparteien» gebe. «Die Hundepartei ist nicht nötig, wird auch nicht lange existieren.» Und Esther Maurer? Sie sandte ein paar dürre Worte, «… haben zur Kenntnis genommen, dass Sie eine Hundepartei gründen wollen. Dazu wünschen wir Ihnen viel Erfolg und grüssen Sie freundlich.» Ist das etwa Ironie? Manchmal sieht Andreas von Albertini Pogrom-Stimmung heraufziehen. Beim Lesen des anonym und subversiv agierenden «Komitees für eine hundefreie Schweiz» fühlt er sich «an andere Zeiten» erinnert. Und Zustände wie damals, als ein berüchtigter Hundefreund sein Unwesen trieb, der seine «Blondi» nicht verdiente, die will schliesslich keiner.

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