Rückzugsgefechte
Contraves soll in Saudiarabien das Arbeitsgesetz verletzt haben. Es geht um 120 Millionen Franken.
Jiddah, Saudiarabien. Das propere Camp vor der Stadt wirkt verlassen, der Swimmingpool wird seit Wochen nicht mehr benutzt. Noch vor kurzem wohnten hier rund 60 Techniker mit ihren Familien. Die Schweizer Technologiefirma Contraves Defense (vormals Oerlikon Contraves) hatte sie vor Jahren in den Wüstenstaat geschickt, um die saudische Armee beim Aufbau des Fliegerabwehr-Systems Skyguard zu beraten. Auftragsvolumen: rund 1,2 Milliarden Franken.
Seit Ende 1999 ist die Mission mit dem Codenamen Salis weitgehend beendet. Doch der Schweizer Rückzug aus dem Königreich verläuft nicht nach Plan. Die letzte Zahlung in Höhe von 120 Millionen Franken an Contraves droht von den Saudis gesperrt zu werden. Grund ist eine arbeitsrechtliche Klage verschiedener Contraves-Mitarbeiter.
Anlass für die juristischen Streitigkeiten liefert das saudische Arbeitsgesetz. Laut eines speziellen Passus muss jede Firma ihren Mitarbeitern, die ihren Job quittieren, einen so genannten Service Award bezahlen. Die Abgangsentschädigung berechnet sich auf Grund der geleisteten Dienstjahre. Bis fünf Jahre gibts pro Jahr einen halben Monatslohn, jedes zusätzliche Dienstjahr wird mit einem vollen Salär belohnt. Laut Anwalt der Contraves-Mitarbeiter unterstehen auch die inzwischen abgereisten Skyguard-Spezialisten diesem Gesetz. Entsprechend werden vor dem Arbeitsgericht in Jiddah insgesamt Abgangsentschädigungen von mehreren 100 000 Franken eingefordert.
Contraves könnte der laufende Streit teuer zu stehen kommen. Denn im Vertrag mit den Saudis ist klar geregelt, dass im Falle von Rechtsstreitigkeiten zehn Prozent der Auftragssumme – das entspricht rund 120 Millionen Franken – eingefroren werden können. Der saudische Anwalt der Contraves-Beschäftigten bestätigt: «Ich habe beantragt, dass diese Zehn-Prozent-Klausel in diesem Falle angewandt wird.» Durch den Ramadan habe sich sein Begehren um einige Wochen verzögert, in diesen Tagen jedoch dürfte der Betrag gesperrt werden, schätzt der Anwalt. «Die Rechtslage ist eindeutig.»
Bei der Contraves Defense reagiert man auf das Thema gereizt. Auf die Frage, ob es bei der Ausschüttung der Bonuszahlungen Differenzen gebe, erklärt Elisabeth Boner, Leiterin Kommunikation bei der Contraves Defense, nur: «Über allenfalls latente Auseinandersetzungen und laufende Verfahren wird nicht in den Medien kommuniziert.» Sie versichert jedoch, dass sich die «generelle Personalpolitik nach den geltenden gesetzlichen und vertraglich mit den Arbeitnehmern vereinbarten Bedingungen» richte. Konkreter mag man bei Contraves nicht werden.
Dafür äussert sich der Kläger-Anwalt der Contraves-Mitarbeiter. Für ihn ist der Streit um die Auszahlung der Bonus-Zahlungen ein «sehr seltener Fall». Normalerweise, so seine Erfahrung, würde der Award von den Unternehmen anstandslos ausgeschüttet.
Bei der ABB, einer anderen Schweizer Grossfirma, die in Saudiarabien tätig war, kann man sich nicht an Streitigkeiten betreffend Bonus-Zahlungen erinnern. «Wir hatten noch nie Probleme in Saudiarabien», bestätigt ABB-Sprecher Andreas Bonifazi.
Den klagenden Contraves-Angestellten hilft das wenig. Im Gegenteil: «Das Unternehmen hat uns nach unserer Rückkehr nahe gelegt, einen neuen Job zu suchen», erzählt ein Betroffener. So hätten er und seine Kollegen, die sich an der Klage beteiligt hatten, an ihrem ersten Arbeitstag Kursunterlagen vom regionalen Arbeitsvermittlungs-Zentrum (RAV) auf ihren Pulten vorgefunden. Auch dies wird bei der Contraves in Abrede gestellt: «Wenn Ihre Anfrage unterstellt, Contraves Defense habe auf Grund von Lohnstreitigkeiten einige Mitarbeiter entlassen oder es sei Mitarbeitern aus diesem Grund nahe gelegt worden, sich einen anderen Arbeitsplatz zu suchen, erfolgt hiermit ein klares Dementi», lässt Boner verlauten.
Und Contraves droht weitere Unbill: Gewinnen die Contraves-Angestellten den Fall, dürfte es zu weiteren Klagen kommen. Alle Arbeiter, die Saudiarabien verlassen, haben zwölf Monate lang Zeit, rückwirkend ihre Award-Zahlungen einzufordern. «Dutzende von Ex-Auslandangestellten hätten Anrecht auf solche Bonus-Zahlungen», ist ein Contraves-Mitarbeiter überzeugt. Doch bis heute ist der Rechtsstreit noch nicht entschieden. Im Dezember 1999 gabs im Wüstenstaat bereits vier Gerichtstermine, der nächste ist auf den 24. Januar angesetzt.