Nike – Frauenoffensive
Mehr Mode, weniger Technik: Nike, der grösste Sportartikelhersteller der Welt will vermehrt Frauen ansprechen – und stösst dabei auf etablierte Konkurrenten.
Die griechische Siegesgöttin Nike liebt den Erfolg. Das tut auch der gleichnamige Sportartikelhersteller. Der nutzt am liebsten Sieger als Werbeträger: Basketballstar Michael Jordan, Tennisass Pete Sampras, Golfer Tiger Woods oder Leichtathletin Marion Jones stehen alle auf der Lohnliste von Nike. Diese Idole geniessen im männlichen Kundensegment eine grosse Akzeptanz, mit ihnen kann Mann sich identifizieren.
Anders bei den Frauen. Die wenigsten können mit Vorzeige-Sportlerinnen wie Marion Jones etwas anfangen, auch wenn sie selbst Sport treiben. Nike will aber alle Frauen ansprechen und hat sein Angebot deshalb voll auf sie ausgerichtet. Plötzlich versteht Nike die Frauen – nachdem man jahrelang zuschaute, wie Kundinnen, die keine weissen, rosaroten oder hellblauen Trainingshosen wollten, auf die Schlabberhosen in der Männerabteilung zurückgreifen mussten. Ab sofort soll also die Marke mit dem Haken auch unter die trendbewussten und trotzdem sportlichen Frauen gebracht werden. Im Zentrum der europäischen Strategie steht die Textil-Kollektion «women’s essential selection». Seit zwei Jahren arbeiten ausschliesslich Frauen fürs Frauen-Business. In Amsterdam werden die entsprechenden Produkte entwickelt.
Eine ihrer Ideen betrifft die Kommunikation zur neuen Linie. Sie soll mit einer Bücheraktion und mit der Website www.nike-women.com bekannt gemacht werden. Im Laufe dieses Jahres werden vier Bücher über verschiedene Kanäle an interessierte Frauen europaweit gratis abgegeben. Die Titel der Bücher sind viel versprechend: «Das Buch der Lügen» (die gängigsten Ausreden für Sportmuffel), «Enzyklopädie der Süchte» (über harmlose Süchte wie Schokolade essen oder Sport machen), «No more miss nice guy» (Frauen zeigen ihr wahres Gesicht) und «Die Kunst der Widersprüche».
Mit der neuen Strategie will Nike die Frauen in Zukunft dort abholen, wo sie sich viel lieber aufhalten als auf der Sportetage: in der Damenkonfektions-Abteilung. Bei der Präsentation hat Nike für einmal auf die obligate Vorzeige-Athletin verzichtet und stattdessen die Kollektion mit gewöhnlichen Models fotografieren lassen.
«Im Unterschied zu den hochtechnologischen und atmungsaktiven Materialien der Sporttenüs soll die neue Kollektion auch im Alltag getragen werden – funktionelle Mode mit einem Hauch Designeffekt, wie zum Beispiel Prada», sagt Nike-Schweiz-Marketingleiter Rolf Hunziker. Mit der neuen Kollektion will der Sportriese seine Umsätze im Frauenbereich steigern.
Der Marke gings schon besser. Zwar ist Nike weltweit Branchenführer. Aber der grösste Hersteller von Sportartikeln verliert auf seinem wichtigsten Markt, den USA, an Boden. Die Ergebnisse des abgelaufenen Geschäftsjahres können sich mit 590 Millionen Dollar Reingewinn sehen lassen, aber sie sind bescheiden im Vergleich mit den 796 Millionen Dollar 1997. Und seit drei Jahren stagniert die Branche in Nordamerika und Europa.
In der Schweiz musste sich Nike im Bereich Sportschuhe erst kürzlich von Adidas-Salomon knapp auf den zweiten Rang verdrängen lassen. Dafür hat Nike in der Schweiz im letzten Jahr zum ersten Mal mehr Sporttextilien als -schuhe verkauft. Im gesättigten Sportschuh- und Sporttextilmarkt ist nicht mehr allzu viel zu holen, dagegen sieht die Firma im Bereich sportliche Mode Wachstumspotenzial. Aber genau dort hat niemand auf «women’s essential selection» gewartet. Eine grosse Zahl renommierter, aber sportsfremder Anbieter macht sich dieses Segment schon streitig: Polo Sport, Hugo Boss, Mango, Zara, Prada, H&M. Es dürfte also kein einfaches Spiel werden, sich mit gestandenen Mode-Labels zu messen. Und ohne trendiges Image ist man keine Adresse für modesüchtige Trendsetterinnen.
Vorerst einmal werden die Teile im women’s corner verkauft. Dort werden sie, immerhin deutlich von den Sportutensilien der Männer abgehoben, präsentiert. Für nächstes Jahr plant Nike, die Schweiz zu seinem Testmarkt in Europa zu machen, und will zusätzlich zu den vorhandenen 14 Shops Geschäfte nur mit Produkten für Frauen eröffnen.
Die ehrgeizige Frauenstrategie des amerikanischen Riesen scheint die Konkurrenz kalt zu lassen. Bei Adidas Schweiz steht gemäss Sprecherin Ursula Bayer keine grosse Werbeoffensive für die «Women Collection» bevor. Zudem werde die Frauen-Fitness-Kollektion schon jetzt häufig in der Freizeit getragen. Aggressiver zeigt sich Reebok. Die im Bereich Frauenfitness traditionell starke Marke will die Frauenwerbung zwar auch nicht speziell vorantreiben, doch man möchte Reebok-Artikel in der Schweiz nächstes Jahr statt in 6 neu in 20 Shops anbieten.
Nike will sein neues trendiges Frauen-Image aber nicht nur im Produktebereich Textilien aufbauen. Gemäss Marketingleiter Rolf Hunziker will man später im Bereich Damenschuhe nachziehen. Bisher wurden Nike-Frauensportschuhe mit technologischen Argumenten – wie massgeschneiderter Fersensitz, optimale Griffigkeit oder Flexibilität – verkauft. Das interessierte niemanden in einem Kundensegment, in dem mit Schlangenlederlook gepunktet wird, nicht mit technischen Daten. Für viele Frauen ist das Aussehen des Schuhs wichtiger als gelenkschonende Sohlen. Gefragt ist ein lockerer Stil, häufig aus Leder. Will Nike in dieses Segment eindringen, gehts hart auf hart. Denn genau diese Bresche haben bereits Trendmarken wie Prada, Jil Sander, Donna Karan New York, Tommy Hilfiger und neu Bally geschlagen und sich als Geschmacksinstanz etabliert.
Einen ersten Ansatz, in welche Richtung sich Nike bewegen könnte, sieht man bei den aktuellen Schuhmodellen Air Max Craze und Air Visi Havoc. Da zeigt sich, dass Nike an seinem sportlichen Image festhalten will: Der Konzern besteht darauf, dass alle Schuhe sporttauglich sein müssen. Immerhin brachte Nike mit Air Max Craze und Air Visi Havoc erstmals eindeutig weibliche Sportschuhe auf den Markt. Mit riesigem Erfolg, vor allem in den USA. Der Schweizer Nike-Schuhdesigner Martin Lotti hatte die Vorgaben, die Schuhe sportlich, athletisch und trotzdem feminin zu gestalten. Der Air Visi Havoc wurde nicht nur zum bestverkauften Nike-Frauenschuh aller Zeiten, das Modell kam auch im Museum of Modern Art in San Francisco zu Ehren: Er ist Bestandteil der permanenten Ausstellung.
Ab nächstem Frühling wird Nike in der Werbung für seinen Männerbereich neben seinen Siegern – Jordan, Wood und Sampras – auch Models ohne Starruhm einsetzen. Dann nämlich soll als Pendant zur «women’s essential selection» eine männliche, auf Freizeit getrimmte Textilkollektion auf den Markt kommen.