Neue Formate für die Speicherung digitaler Musik

Zukunftsmusik

Mit Mp3pro und Ogg Vorbis wurden zwei neue Verfahren vorgestellt, um digitale Musik für die Verbreitung im Internet aufzubereiten. Ogg Vorbis kommt ohne Lizenzgebühren aus, Mp3pro verspricht höhere Klangqualität oder geringeren Speicherbedarf. Auf diese neuen Techniken haben die Grossen der Musikbranche nicht gewartet, sie suchen nach Verfahren, Musik zu verkaufen, ohne sie aus der Hand zu geben.

S. B. Diese Woche wurden zwei neue Verfahren für die Speicherung und Übermittlung digitaler Musik vorgestellt: Mp3pro[1] und Ogg Vorbis[2]. Die in Stockholm und Nürnberg domizilierte Firma Coding Technologies entwickelte in Zusammenarbeit mit der französischen ThomsonMultimedia und dem deutschen Fraunhofer Institut für integrierte Schaltungen – jenem Institut,das Mp3 wie auch das leistungsfähigere Advanced Audio Coding (AAC) geschaffen hat – eine Mp3pro genannte Technik. Seit Ende letzter Woche steht Version 1.0 der Software, mit der Mp3pro-Dateien erzeugt und zum Klingen gebracht werden können, zum Herunterladen bereit.

Im Vergleich mit Mp3 oder AAC, so behauptet die Medienmitteilung, klingt Mp3pro-Musik besser oder aber braucht – bei gleicher Klangqualität – rund 30 Prozent weniger Platz. Gemäss Coding Technologies wurden Mp3 und AAC für Übertragungsraten von 128 KBit pro Sekunde optimiert. Steht weniger Bandbreite zur Verfügung, und das ist der Normalfall, klinge entsprechend codierte Musik sehr schlecht, der Frequenzumfang sei geringer als bei einem UKW-Radio. Mit einer Spectral Band Replication (SBR) genannten Technik ist es bei Mp3pro möglich, die hohen Frequenzen äusserst platzsparend einzufangen und auch über schlechte Verbindungen zu transportieren.

Mp3pro ist rückwärtskompatibel zu Mp3; Mp3-Player können Mp3pro-Musik wiedergeben, und Mp3pro-Software weiss mit Mp3-Musik umzugehen. Zurzeit steht die neue Technik für Windows zur Verfügung, Versionen für Mac-OS und Linux sollen bald folgen. Gemäss Thomson Multimedia, die sich um die patentrechtliche Verwertung von Mp3 und Mp3pro kümmert, sollen mehrere Hardware- und Software-Hersteller die neue Technik bereits lizenziert haben.

Alternativen zu Mp3

Mp3 ist im Internet das populärste Format für die platzsparende Speicherung von digitaler Musik. Es gibt allerdings zahlreiche Bemühungen, Mp3 an den Rand zu drängen. Microsoftbeispielsweise will in der nächsten Windows-Version Mp3 nicht mehr berücksichtigen. Unter Windows XP gibt es keine vorinstallierte Mp3-Software mehr; wem die mitgelieferte, von Microsoft entwickelte Musikwiedergabe-Software Windows Media Player (WMP) nicht genügt, muss sich selber behelfen.

Es gibt Gerüchte, dass Microsoft die unter Windows mögliche Wiedergabequalität von Mp3 einzuschränken plane. Das wäre aber vermutlich gar nicht nötig, denn nur wenige Leute dürften sich die Mühe machen, den gratis mitgelieferten WMP durch kostenpflichtige Mp3-Software zu ersetzen. Hersteller von Mp3-Software müssen gemäss dem «Wall Street Journal» für jedes verkaufte Exemplar 2,5 Dollar Lizenzgebühren bezahlen. Microsoft verschenkt ihre zu Mp3 nichtkompatible Software nicht nur Windows-Anwendern, sondern überlässt sich auch Software- undHardware-Herstellern gratis. Falls WMP genügend Verbreitung findet, könnte es Microsoft gelingen, auch für ihr Musikportal MSN Music Beachtung zu finden und sich als Musikanbieter zu profilieren. Und da Microsoft nicht nur innerhalb des WMP, sondern auch auf verschiedenenEbenen des Windows-Betriebssystems Kopierschutzmechanismen vorgesehen hat, könnte es sein, dass die Firma dereinst sogar die grossen Schallplattenfirmen als Partner gewinnt. Angesichts dieser Perspektiven kann es nicht erstaunen, dass sich Microsoft geweigert hat, die Internet-Zugangssoftware von America Online (AOL) zusammen mit Windows XP auszuliefern, weil diese Software auch den Real-Player von Real- Networks, ein Mp3 und WMP konkurrenzierendes Programm.

Wo sich die Grossen der Computerbranche und der Musikindustrie daran machen, Mp3 durch proprietäre Techniken zu verdrängen, bemüht sich das Open-Source-Projekt Ogg Vorbis mit einer gratis und im Quelltext erhältlichen Mp3-Alternative die Grossen der Computerbranche und der Musikindustrie in Bedrängnis zu bringen. Version 1.0 dieser Software wurde zu Beginn der Woche freigegeben. Sie codiert und decodiert Audiodaten in einer Qualität, die Mp3 ebenbürtig sein soll. Bisher konnte diese Behauptung aber noch nicht überprüft werden.

Die Revolution frisst ihre Kinder

Die letzten zwei, drei Jahre brachten im Geschäft mit Musik grössere Umwälzungen als die zwanzig, dreissig Jahre zuvor. Die Musik entfloh dem materiellen Substrat, verschafft sich ohne Lastwagen und Verkaufsregale Gehör. Die Schallplattenindustrie – man darf sie so nennen, Vertreter dieser Branche gebärden sich so, als ginge es noch immer darum, Tonträger zu verkaufen – scheint durch diese Umwälzungen überrascht worden zu sein. Wohl haben Vertreter der grossen Konzerne immer wieder angekündigt, Musik auch übers Internet anbieten zu wollen, bisher blieb es aber bei den Ankündigungen. Es waren Aussenseiter wie Michael Robertson oder Shawn Fanning, die zeigten, was sich mit den neuen technischen Möglichkeiten machen lässt – Robertson mit der äusserst populären Website Mp3.com, der 19-jährige Student und Hobby- Programmierer Fanning mit Napster, einem System, das digitale Musik auf den Festplatten von Millionen von Anwendern zu einer gewaltigen Jukebox vereinigt und jedem jedes Stück unentgeltlich zur Verfügung stellt.

Noch vor einem halben Jahr schien es nicht möglich, über die Veränderungen der Musikbranche zu schreiben, ohne das Wort «Revolution» zu gebrauchen, und es schien festzustehen, dass, wenn sich der Staub wieder setzen würde, nichts mehr so sein würde, wie es war. Vor einem halben Jahr schilderte etwa Eric Scheirer in einem Bericht der Unternehmensberatungsfirma Forrester Research die Musikindustrie als eine «Industrie am Rande des Zusammenbruchs». Die Schallplattenfirmen hätten die Kontrolle über ihre Produkteverloren, es bestehe keine Aussicht, die Verbreitung dieser Produkte wieder unter Kontrolle zubringen. Um zu überleben, müssten sie ihr Geschäftsmodell vollständig ändern, nicht mehrMusik, sondern Dienstleistungen im Zusammenhang mit Musik verkaufen.

Der Staub hat sich zwar nicht noch nicht gesetzt; noch immer folgen sich unerwartete Neuigkeiten Schlag auf Schlag, doch wenn man auf das staubumwölkte Getümmel starrt, kommt es einem so vor, als ob die Schallplattenindustrie wieder die Oberhand gewonnen hätte. Eine Zusammenfassung der jüngsten Entwicklungen stellte die Nachrichtenagentur AP kürzlich unter den Titel «Die Online-Revolution könnte vorbei sein».

Peitschenhiebe

Mit juristischen Mitteln wurde der virtuelle CD-Player von Mp3.com ebenso wie die weltumspannende Jukebox von Napster zum Verstummen gebracht. Napster ist zwar noch immer online, und es ist in vielen Fällen noch immer möglich, sich die gewünschten Songs zu beschaffen, wenn man die Namen der Interpreten nur lange genug dreht und wendet und anstatt nach «Madonna» nach «Mdonna» oder «Damonnna» sucht. Viele Benutzer sind es jedoch überdrüssig, immer wieder neue Orthographiefehler zu erfinden. Die Zahl der Napster-Anwender hat in den letzten Wochen stark abgenommen.

Neben Gerichtsentscheiden waren es auch Übernahmen und Beteiligungen, mit denen die Schallplattenindustrie ihre Position im Internet stärkte. Im November verbündete sich der Bertelsmann-Konzern mit Napster, Vivendi Universal kaufte im März Emusic.com und im MaiMp3.com. Myplay.com ging kurz darauf an Bertelsmann, Napster schloss vor zwei Wochen eine Allianz mit AOL/Time Warner, Bertelsmann und EMI. Es gebe, so sagte Eric Scheirer vor einem Monat gegenüber der «New York Times», für den Vertrieb elektronischer Musik im Internet keine funktionsfähige Plattform mehr, die nicht unter der Kontrolle der grossen Labels stünde.

Mit Peitschenhieben hat sich die Musikindustrie Respekt verschafft. Doch um zu verhindern,dass sich ihre Kundschaft den zahlreichen kleineren Internet-Tauschbörsen zuwendet, die wie beispielsweise Audiogalaxy[3] in jüngster Zeit rasch anPopularität gewinnen, werden die grossen Musikkonzerne nicht darum herum kommen, das Zuckerbrot vorzuzeigen und legale Möglichkeiten für den Online-Vertrieb von Musik zu schaffen. Bis Ende Sommer, so wurde versprochen, wollen die Grossen der Branche grosse Teile ihres Katalogs im Abonnement zum Herunterladen übers Internet zur Verfügung stellen. AOL/Time Warner, Bertelsmann und EMI haben zusammen mit Real-Networks das Unternehmen Musicnet[4] gegründet; das Pendant von Sony Music Entertainment und Vivendi Universal wurde unter dem Namen Duet bekannt, inzwischen aber auf Pressplay[5] umgetauft.

Niemand wäre erstaunt, wenn sich diese Angebote verspäten würden. Zahlreiche Details gilt es noch zu regeln, beispielsweise die Art und Weise, wie die Musiker, vertreten durch die amerikanische National Music Publishers’ Association, entschädigt werden. Auch scheint noch nicht ganzklar zu sein, zu welchem Preis der Kunde was erhält. Bisherige Präsentationen etwa des Musicnet- Angebots liessen viele Fragen offen. Bei Musicnet soll man sich für 10 Dollar während eines Monats Musik aus dem Katalog der beteiligten Firmen im proprietären Real-Networks-Format anhören können. Die Abonnementsgebühren gestatten es zudem, bis zu 75 Titel auf die Festplatte herunterzuladen, so dass die Musik auch spielt, wenn die Verbindung zum Internet unterbrochen ist. Die auf der Festplatte liegenden Songs sollen nicht mehr abspielbar sein, wenn das Abonnement nicht mehr erneuert wird.

Der Preis scheint hoch, der Gegenwert bescheiden. Gemäss Berechnungen der Zeitschrift «The McKinsey Quarterly» kauft ein durchschnittlicher Musikliebhaber CD im Gegenwert von 60 bis 70 Dollar pro Jahr. Mindestens 60 Prozent des Preises einer CD werden durch Herstellung der Disc, Vertrieb und Marketing verursacht – Kosten, die im Internet nicht oder nicht in dieser Höhe anfallen. Gemäss dem Subskriptionsmodell von Musicnet müsste der Kunde für Musik mehr bezahlen, erhielte aber weniger für sein Geld.

 

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