Microsoft: Ausweitung der Kampfzone
Mit der Xbox greift Microsoft Sony und Nintendo an. Gewinnen kann nur, wer die innovativsten Spiele anbietet.
Die Sache begann viel versprechend. Und geheim. Einzeln bestellte Bill Gates im Winter 1998/99 die Firmenbosse von Sony und Nintendo zum Microsoft-Hauptsitz. Sony hatte soeben seine Playstation-2-Pläne enthüllt und Bill Gates ein Anliegen: Auch der Software-Riese wollte ins Wohnzimmer einziehen, wo das Geschäft mit den Videospiel-Konsolen Milliarden versprach. Microsofts Vorschlag: Eine abgespeckte Windows-Plattform sollte zum Herzstück der Spielkonsolen werden. Sony wie Nintendo winkten ab. Aber Microsoft wollte sich nicht länger aussperren lassen und begann selbst eine Konsole zu entwickeln.
Beinahe drei Jahre später wird die Xbox am 15. November in den amerikanischen Läden stehen und auf dem Konsolenmarkt das grosse Gerangel um die Gunst der Käufer einläuten. Praktisch gleichzeitig – drei Tage später – erscheint in Amerika der Gamecube von Nintendo. Die Playstation 2 (PS2) von Sony ist schon seit einem Jahr auf dem Markt.
Neuling Microsoft wird sich gegen die im Markt etablierten japanischen Unterhaltungsriesen Sony und Nintendo durchsetzen müssen. «Der Markt hat Platz für drei Konsolen, da es unterschiedliche Produkte mit unterschiedlichem Zielpublikum sind», sagt Paul Fox, Europa-Verantwortlicher für die Xbox.
Der Konsolenmarkt scheint tatsächlich noch nicht ausgereizt. 33 Milliarden Franken schwer ist der Videospielmarkt in diesem Jahr. Laut einer Studie des Marktforschungsdienstes Forrester Research soll diese Zahl bis ins Jahr 2005 auf 43 Milliarden steigen. Wie viele Konzerne dereinst diesen Kuchen unter sich aufteilen werden, ist noch nicht entschieden. Zwischen dem Zielpublikum von Sony und Microsoft sind bei näherem Hinsehen kaum Unterschiede zu erkennen.
Mit wenig Sorgenfalten steigt Nintendo in die erste Runde. Das Zielpublikum des Gamecube-Herstellers wohnt noch im Kinderzimmer, wo sich Nintendo bereits mit seinem Gameboy einen festen Platz erobert hat. Und mit einem Preis von 199 Dollar (in der Schweiz vermutlich 399 Franken) liegt der in Japan bereits erhältliche Gamecube auch am ehesten in Reichweite des Geschenkbudgets von Oma und Onkel. «Wir bringen eine Konsole für die ganze Familie auf den Markt», sagt Jean-Pierre Gerber, Nintendo-Sprecher Schweiz. An den Spielwürfel ihres Nachwuchses sollen sich auch Mama und Papa ab und zu setzen.
Bleiben die über 16-Jährigen ohne Kinder, bisher das Stammpublikum der PS2. Auf diese Marktposition zielt nun auch die Xbox ab. Das Microsoft-Spieleprogramm des ersten Jahres richtet sich an eingefleischte Gamer. Die Eroberung des Massenmarktes gelang auch Sony einst über die Spielfreaks.
Besonders lange wird sich der Softwarekonzern aber nicht in den Übungslevels aufhalten dürfen, denn Sony spielt längst im Advanced Modus. In weltweit 17 Millionen Wohnzimmern steht bereits eine PS2, die Playstation 1 sogar in 86 Millionen Heimen. Kein Zufall ist auch, dass bis Weihnachten 150 neue Spiele für die PS2 erscheinen sollen, und im Februar – einen Monat vor dem Europastart der Xbox – das Kultspiel Metal Gear Solid auf der PS2 fortgesetzt wird.
Auf beiden Seiten lassen die Konsolen-Entwickler die technischen Muskeln spielen. Microsoft ist stolz auf die eingebaute Festplatte der Xbox und den Breitband-Internetanschluss. Sony schwört auf den Emotion Engine, der im Inneren der Playstation die virtuellen Fäden zieht. Mit Erweiterungselementen will Sony im nächsten Frühjahr ebenfalls Internetanschluss gewährleisten.
In einem Punkt ist sich die Branche einig: Entschieden wird der Konkurrenzkampf nicht auf technischer Ebene, sondern bei den Spielen. Da Spielemultis wie Electronic Arts oder Activision ihre Titel meistens für mehrere Plattformen schreiben, werden die konzerneigenen Spieleschmieden das Rennen um die Konsumentengunst entscheiden. Hier muss Microsoft mächtig Boden gut machen, will es gegen die etablierten Markennamen von Sony und Nintendo ankommen. «Tekken» und «Gran Turismo» 3 oder «Mario» und «Zelda» heissen die millionenfach verkauften Titel von Sony und Nintendo, die die Microsoft-Spielentwickler in ihren Alpträumen verfolgen.
Die Xbox wird mit – in der Gamerszene ungeduldig erwarteten – Spielen wie dem Science-Fiction-Shooter «Halo» und dem Racerspiel «Project Gotham» an den Start gehen. Bei Sony ist man jedoch der Meinung, Microsoft kopiere lediglich PS2-Erfolgstitel: «Microsoft versucht mit einer Wir auch -Strategie in den Spielemarkt einzusteigen, ohne wirklich innovative Spiele zu bringen», sagt Roger Frei, Geschäftsführer bei Sony Consumer Electronics Schweiz. Die Strategie, Bewährtes zu kopieren und sich daraus ein Monopol zu zimmern, beherrscht Microsoft im Softwarebereich meisterhaft.
Microsofts Ausflug in die Wohnzimmer hat handfeste Gründe. Der PC- Markt stagniert, auch die Verkaufszahlen des neuen Betriebssystems Windows XP lösen bis anhin kein Jubelgeschrei aus. Und: Die Konsolen sollen in den nächsten Jahren zum Zentrum des digitalen Lebensstils werden. Filme, Internet, Musik und Spiele sollen mit einem Gerät konsumiert werden – wer dieses herstellt, kontrolliert die Zukunft der Unterhaltungselektronik.
Die Finanzverwalter in Seattle werden einen langen Atem brauchen. Laut einer Studie der Investmentbank Merrill Lynch wird die Xbox frühestens im Jahr 2006 Gewinn bringen. Bis dahin muss Microsoft 2 Milliarden Verlust in Kauf nehmen. Branchenkenner bezweifeln zudem, ob der Softwarekonzern den geistigen Sprung vom Silicon Valley in die Hollywood-ähnliche Videospielbranche schaffen wird. Ein bisschen geübt haben Gates und Kollegen am 25. Oktober bei der Party zur Windows-XP-Einführung: Sting durfte singen, und Bill Gates spielte auf der Bühne «Wer wird Millionär?».