Marc Hodler «Ich wurde gemobbt»

IOK-Skandal

Marc Hodler löste den IOK-Skandal aus. Geschenke von Olympia-Kandidaten lehnt er aber nicht grundsätzlich ab.

–: Wie haben Sie die elf Monate seit dem IOK-Skandal überstanden?

Marc Hodler: Wunderbar. Wieso?

 

–: Als Person, die den Bestechungsskandal von Salt Lake City an die grosse Öffentlichkeit gebracht hat, müssen Sie einigen Anfeindungen ausgesetzt gewesen sein.

Hodler: Ich habe das nicht persönlich genommen. Als Verantwortlicher im besagten Fall hatte ich zwei Möglichkeiten: Mich entweder wie ein Soldat dem Problem zu stellen oder davonzulaufen. Ich habe mich für Ersteres entschieden. Nachdem ich von gescheiterten Olympia-Kandidaten 20 Jahre lang immer wieder hören musste, es sei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen, war Salt Lake City für mich ein Glücksfall.

 

–: Ein Glücksfall?

Hodler: Ja, dass die Organisatoren die belastenden Dokumente nicht richtig versteckt hatten, so dass sie einer via den Fernsehsender ABC ans Tageslicht bringen konnte. David Johnson (der Vizepräsident des Organisationskomitees) rief mich an und fragte mich, was zu tun sei. Ich forderte ihn auf, auszupacken und aufzuzeigen, wie der Markt funktioniert. Unterdessen weiss ich, dass unter den Olympia-Kandidaten jeweils Listen zirkulierten, die festhielten, wie die Bestechung am besten funktioniert. Darauf stand auch, welche IOK-Mitglieder dafür besonders anfällig sind.

 

–: Seit Monaten sind keine Meldungen mehr über weitere Bestechungsversuche an die Öffentlichkeit gedrungen. Haben Sie selber noch von weiteren Fällen gehört?

Hodler: Wenn schon, gingen solche Meldungen automatisch an die Ethikkommission des IOK.

 

–: Wovon Sie trotzdem Wind bekämen.

Hodler: Zu laufenden Verfahren sagt niemand von der Kommission etwas. Und ich frage auch nicht danach, ich habe das immer so gehalten.

 

–: Wurden Sie nach Ihren Enthüllungen nie bedroht?

Hodler: Nein.

 

–: Das glaube ich nicht.

Hodler: Das müssen Sie aber. Ich habe viele Gratulationen erhalten. Spazieren Sie mit mir mal zum Zytglogge-Turm, dann sehen Sie, wie die Leute reagieren.

 

–: Gut, die Leute aus der engeren Heimat, aber einige Entscheidungsträger im IOK werden Ihnen kaum mit Sympathie begegnen.

Hodler: Möglicherweise habe ich im IOK nicht mehr so viel Einfluss wie vor der Affäre.

 

–: Woran merken Sie das?

Hodler: Das lässt sich schwer beschreiben. Aber einige aus dem IOK, darunter auch gute Freunde, haben mir zu verstehen gegeben, dass es besser gewesen wäre, ich hätte nichts gesagt.

 

–: Wurden Sie gemobbt?

Hodler: Ja.

 

–: Von wem?

Hodler: Gesteuert war es vermutlich von den Gegnern der Sittener Olympia-Kandidatur. Aber das ist mir egal. In meinem Alter hat man ohnehin nichts mehr zu verlieren. Ich kann damit leben, nicht mehr einer der Leithammel im IOK zu sein – wie vielleicht vorher noch. Davon kann mein Golf-Handicap nur profitieren.

 

–: Aber für einen machtgewohnten Menschen wie Sie muss es schwierig sein, Macht abzugeben?

Hodler: Das muss eines Tages jeder.

 

–: Sie wollten im Juni, unmittelbar nach der Entscheidung gegen Sion, aus Enttäuschung zurücktreten. Trotzdem sind Sie immer noch im Amt.

Hodler: Ich möchte noch meine angefangenen Arbeiten beenden. Dazu gehört die Begleitung von Salt Lake City, was noch bis zum Februar 2002 dauert. Und 2001 wird ja ein Nachfolger von IOK-Präsident Samaranch gewählt. Der muss dann bestimmen, mit wem er zusammenarbeiten will. Wenn er mich um meine Unterstützung bittet, werde ich weitermachen. Vielleicht schickt er mich aber auch zum Golfspielen.

 

–: Weil das nicht zu erwarten ist, wird Adolf Ogi noch lange auf einen Sitz im IOK warten müssen.

Hodler: Die Reformen sehen vor, dass inskünftig nur noch eine Person pro Land «ad personam» IOK-Mitglied sein kann. Für die Schweiz wird das noch für acht Jahre Denis Oswald sein.

 

–: Bundesrat Ogis Warten auf eine IOK-Karriere ist also vergebens?

Hodler: Nicht unbedingt. Denis Oswald könnte beispielsweise früher zurücktreten. Aber wenn nicht, kann ich mir kaum vorstellen, dass er bei den IOK-Bestätigungswahlen in acht Jahren abgewählt wird. Herr Ogi müsste dann ja als Gegenkandidat antreten.

 

–: Sind Sie zufrieden mit den Reformen, die das IOK Mitte Dezember absegnen lassen will?

Hodler: Nicht ganz. Ich hätte mir gewünscht, dass die olympischen Austragungsorte von einem Gremium bestimmt werden, das ausschliesslich aus Fachleuten besteht. Es genügt nicht, dass die Experten nur einen Evaluationsbericht schreiben, den ohnehin niemand liest.

 

–: Ist das so?

Hodler: Es ist jedenfalls erstaunlich, wie schlecht die IOK-Mitglieder olympische Tatbestände kennen. So glauben im IOK heute noch viele, dass Sestriere (Station für die alpinen Wettbewerbe bei Olympia 2006) nur ein paar Kilometer von Turin entfernt ist. Haarsträubend! Ich behaupte, dass nicht mehr als sieben bis zehn Prozent der IOK-Mitglieder jeweils den Evaluationsbericht zu den Kandidatenstädten lesen.

 

–: Einige machten Sie verantwortlich für die Niederlage der OlympiaKandidatur Sittens.

Hodler: Persönlich glaube ich nicht, dass viele Leute dieser Meinung waren. Aber ich werde, sobald es die Zeit erlaubt, mit Jean-Daniel Mudry (Generaldirektor des Kandidaturkomitees Sion 2006) zusammensitzen, um herauszufinden, was genau gelaufen ist. Es gibt noch andere Gründe für die Niederlage von Sion. Es ist zu vermuten, dass trotzdem eine Art Korruption betrieben wurde. Ausserdem gibt es momentan 13 Städte, die sich für die Sommerspiele 2008 bewerben. Darunter befindet sich auch Rom, die gemeinhin als beste Kandidatur bezeichnet wird. Wenn sich also Roms Konkurrenten für 2008 noch eine Chance ausrechnen wollten, mussten sie ihre IOK- Vertreter überzeugen, aus taktischen Gründen für Turin 2006 zu stimmen – und so Rom indirekt für 2008 aus dem Rennen zu werfen. Solches Vorgehen war schon früher immer wieder zu beobachten.

 

–: Hat sich das IOK in den vergangenen Monaten tatsächlich gereinigt?

Hodler: Das kann ich nicht sagen. Es gibt ein IOK-Mitglied, das vertritt die These, wonach die Käuflichkeit allein eine Frage des Preises sei. Es geht ja nicht immer nur ums Geld: ein Stipendium einer guten ausländischen Universität ist wie eine Lebensversicherung. Einladungen an gewisse Hochschulen haben immer eine sehr grosse Rolle gespielt im Kampf um Olympische Spiele.

 

–: Und: Spielen sie immer noch eine Rolle?

Hodler: Fragen Sie doch Kurt Furgler (Mitglied der Ethikkommission des IOKs).

 

–: Sie wissen garantiert mehr als er.

Hodler (lacht): Nein. Das Ganze hat aber System. Als die ganzen Bestechungsunterlagen in Salt Lake City auftauchten, habe ich David Johnson sofort gefragt: Gehts um Bargeld oder um Stipendien? Er sagte mir, dass es sich nur um Studiengelder handle. Da riet ich ihm, aus der Not eine Tugend zu machen und zu erklären, dass es in den USA eben institutionalisiert sei, Leute gratis und franko an Universitäten zuzulassen – nur weil sie gute Sportler sind. Auf dieser Basis konnte eine Art Korruption im IOK wachsen. Die IOK-Mitglieder sagten sich doch: Wenn die schon diesen Fussballer oder jenen Leichtathleten an einer Uni unterbringen – dann sicher auch meinen Sohn.

 

–: Und das empfinden Sie als legitim?

Hodler: Im rein sportlichen Bereich: ja.

 

–: Sie würden also befürworten, dass beispielsweise Peking als Olympia-Kandidatin drei jungen Sportlern aus Senegal ein Stipendium ermöglicht?

Hodler: Warum nicht? Ein Studium ist eine grosse Lebenshilfe – und darum sinnvoll, es anderen zu ermöglichen.

 

–: Also soll das Korruptionssystem, das primär auf Geld und teuren Geschenken basierte, durch die Vergabe unentgeltlicher Studienplätze abgelöst werden. Durch eine Art sportliche Entwicklungshilfe?

Hodler: Wenn es damit nur um die Sicherung von IOK-Stimmen geht, ist es natürlich immer noch Korruption. Allein die sportliche Leistung des Eingeladenen müsste der Massstab sein.

 

–: Damit bewegen sich die Olympia-Kandidaten allerdings immer noch in einer Grauzone.

Hodler: Das stimmt.

 

–: Sind Sie eigentlich immer noch einer der besten Freunde von Herrn Samaranch?

Hodler: Da müssen Sie ihn schon selber fragen.

 

–: Wie empfinden Sie es denn?

Hodler: Ich denke, ich gehöre immer noch zu seinen besten Freunden.

 

–: Das Verhältnis hat sich in den vergangenen Monaten nicht abgekühlt?

Hodler: Ich glaube nicht.

 

–: Hat er Ihnen zu Ihrem Vorgehen denn nie Vorwürfe gemacht?

Hodler: Nein, im Gegenteil. Er bat mich sogar, bei der Eindämmung der Korruption mitzuhelfen.

 

–: Das hätte auch ein taktischer Zug von Samaranch sein können.

Hodler: Nein, nie. Ihm ging es ganz klar immer um die Sache.

 

–: Aber trügt der Eindruck, dass sich Samaranch in der Schweiz nicht mehr wohl fühlt?

Hodler: Vor allem die harschen Kritiken in der welschen Presse setzten ihm ziemlich zu. In einer ersten Reaktion nach Seoul (Vergabeort der Olympischen Winterspiele 2006) sagte er mir, dass er sich überlege, ob er überhaupt noch nach Lausanne zurückkehre.

 

–: Und?

Hodler: Sein Missmut hat sich schnell wieder gelegt. Der Wegzug ist keine Diskussion mehr.

 

–: Dank Ihrer Mithilfe?

Hodler: Ich habe ihm nur die welschen Reaktionen zu erklären versucht.

 

–: Können Sie den ersten Vers von Homers «Odyssee» noch zitieren?

Hodler: (zitiert ihn)

 

–: Ist das der Beweis, dass Sie trotz Ihrer 81 Jahre der ganzen Sache geistig noch gewachsen sind?

Hodler: Wahrscheinlich nicht. Ich verliere immer wieder Dinge. Zum Beispiel gerade vor ein paar Tagen das Mäppchen mit den Gesprächsnotizen von der Generalversammlung des Panathlon-Clubs Bern. Ich suchte es lange und fand es nicht mehr. Das Protokoll musste ich folglich aus dem Gedächtnis schreiben. Erst am Tag danach fand ich das Mäppchen wieder, eingeklemmt hinter einem Sitz. Das wäre mir früher nie

passiert.

–: Vielleicht müssten Sie also doch früher zurücktreten.

Hodler: Vielleicht. Jedoch erst wenn mir der Präsident eines Tages sagen sollte, dass er mich nicht mehr brauche. Aber ich sehe nicht ein, weshalb ich vor João Havelange gehen sollte. Er ist schliesslich zwei Jahre älter als ich. Doch wenn ich das Gefühl habe, man sei froh, dass ich endlich gehe – dann gehe ich.

 

–: Und dieses Gefühl haben Sie noch nicht?

Hodler: Nein.

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