Lara Croft kam als Mann zur Welt
Die Entwicklung eines PC-Spiels dauert Jahre, beschäftigt Dutzende von Leuten und kostet bis zu 50 Millionen Franken.
Die Fenster sind abgedunkelt, Schweissgeruch hängt in der Luft. Zehn junge, ziemlich gut genährte Männer starren in ihre Bildschirme. Dass sie Besuch bekommen haben, interessiert sie nicht. «Das ist unser Testlabor, die Arbeit der Tester wird deutlich unterschätzt», sagt Gary Reading, Unternehmenssprecher des englischen Studios Core Design in Derby, 100 Kilometer nördlich von London.
Kein Spiel wäre möglich ohne umfangreiche Testphase. Tag für Tag suchen die Männer vom Testlabor in jeder einzelnen Spielszene nach Fehlern. Reading: «Wenn sie nach Hause gehen, spielen sie online weiter.» Hier wurde auch die bekannteste Computerspielheldin Lara Croft auf Bits und Bytes getestet.
Die Testphase findet am Ende des aufwändigen Entwicklungsprozesses statt. Ganz zu Beginn steht oftmals die Idee für eine Figur. «Bei Lara wollten wir einen athletischen Abenteurer entwerfen. Gleichzeitig sollte er verletzlich sein, damit sich die Leute mit ihm identifizierten. Plötzlich war uns klar: Diese Figur ist eine Frau», erzählt Core-Design-Mitbegründer Adrian Smith, umrahmt von lebensgrossen Lara-Puppen.
Gamedesign ist Teamwork. Jedes Team setzt sich aus Zeichnern und Programmierern zusammen. Während die Zeichner Figuren skizzieren und comicartige Storyboards entwerfen, beginnen die Programmierer, diese Ideen auf ihre Bildschirmtauglichkeit hin zu prüfen. «Das künstlerische Denken und das analytische Vorgehen der Programmierer zusammenzubringen, ist nicht immer leicht», sagt Jeremy Longley vom Studio Lost Toys im südenglischen Guildford.
Erweist sich die Spielidee als umsetzbar, fängt die Arbeit fürs Entwicklerteam erst richtig an. Die Figuren müssen im Detail ausgearbeitet und animiert werden. Gleichzeitig gilt es, eine virtuelle Welt für sie zu entwerfen. «Lara hatte einen persönlichen Designer, der sie in- und auswendig kannte. Er musste zum Beispiel wissen, welche Musik sie gerne hörte», sagt Core-Geschäftsführer Smith.
Bis zu drei Jahren dauert die Entwicklung eines Spieles. Dabei müssen die Studios tief in die Tasche greifen. «Wir rechnen jeweils mit Entwicklungskosten von 3 bis 5 Millionen Franken», so Smith. Sein Studio in Derby beschäftigt 100 Leute. Bei Spielemultis wie EA können grosse Projekte auch mal 30 bis 50 Millionen Franken verschlingen.
Von solchen Zahlen können die Kleinen nur träumen. 15 Leute arbeiten bei Lost Toys in Guildford, das Jeremy Longley, Glen Corpes und Darran Thomas im März 1999 gegründet haben. Dabei konnten die drei auf ihre langjährige Erfahrung zählen, die sie bei Bullfrog, dem ehemaligen Studio des bekanntesten britischen Gamedesigners, Peter Molyneux, gesammelt hatten. Molyneux verkaufte Bullfrog 1995 an EA und gründete, ebenfalls in Guildford, sein jetztiges Studio Lionhead («Black & White»).
Lost Toys konnte mit dem Sciencefiction-Gladiatorspiel MoHo bereits sein erstes Spiel auf den Markt bringen – ein wichtiger Schritt, den viele Neugründungen nicht schaffen. Trotzdem sichert nur ein Erfolgstitel das Überleben. Den nächsten Titel versprechen die Jungs mit den verlorenen Spielsachen auf Herbst 2002; dann wird sich entscheiden, ob das vom Bullfrog-Mitgründer Les Edgar finanzierte Studio überleben kann.
Guildford ist ein Zentrum der englischen Computerspielindustrie. Nicht weniger als neun Studios konzentrieren sich im Städtchen südwestlich von London. Fast alle wurden sie, wie Lost Toys, von ehemaligen Bullfrog-Designern gegründet. «Jeder kennt hier jeden. Ungefähr 300 Gamedesigner arbeiten in einem Umkreis von wenigen Meilen», sagt Longley. Abends treffen sich die Spieleentwickler zum Bier im Pub White House.