Lacher gesucht
Die unzähligen Talk- und Liveshows der privaten TV-Sender leben von vollen Zuschauerrängen. Doch das Studio-Publikum ist Mangelware.
Sie werfen mit den Tickets für ihre TV-Shows gleich im Dutzend um sich. Auf der Strasse, in der Szenebeiz und überall, wo sich junge Leute treffen, tauchen sie auf: Im Stundenlohn bezahlte Helfershelfer der TV-Produzenten haben die schwierige Aufgabe, die Zuschauerränge der Talk- und Spielshows mit möglichst aufgestelltem, telegenem Publikum zu füllen.
Studiopublikum wird zu einem immer rareren Gut: Allein TV3 und Tele 24 suchen zusammen rund 15 000 Zuschauer pro Jahr. Etwa gleich viele benötigen die Sendungen von SF DRS.
Die Umworbenen greifen sich schnell eines der meist kostenlosen Tickets. «Beim Aufnahmetermin lassen sich aber viele von ihnen gar nicht erst blicken», ist die tägliche Erfahrung von Daniela Klisanin, die für das Publikum der TV3-Talk-Show «Fohrler live» verantwortlich ist. Ihr Kollege Michael Doswald, Produktionsverantwortlicher von «Rob’s Comedy Club» bei TV3, «rannte auch schon wenige Stunden vor Beginn der Show mit Gratis-Tickets durch die Stadt».
Um ihre Zuschauertribünen einigermassen zu füllen, entwickeln die Verantwortlichen immer ausgeklügeltere Methoden. Als die Produktionsleiterin der «Schuldenshow», Janine Blatter, kurz vor Drehbeginn den SOS-Ruf erhielt, erst ein Bruchteil des notwendigen Publikums sei gefunden, nahm sie die Sache selber in die Hand: Nach zwei Tagen und Nächten herumtelefonieren waren die gesuchten 120 Zuschauer beisammen, die meisten von ihnen jung, attraktiv und telegen. Der Erfolg hat sie dazu bewogen, eine Firma zu gründen, die sich ausschliesslich als Zulieferbetrieb für TV-Shows versteht. Das riesige Menschenreservoir in ihrer Kartei hat die Film- und Fernsehfrau während vieler Jahre zusammengetragen. Vor allem gut aussehende junge Menschen, zahlreiche Models und Statisten mit Bühnenerfahrung sind darunter. «Das Publikum ist heute untrennbarer Teil der Show», heisst die Philosophie der Zürcherin. Ihre Dienste sind allerdings nicht billig. Ein sorgfältig ausgewähltes Publikum kostet bei Janine Blatter im Schnitt 25 Franken pro Nase.
Noch zeigen die Schweizer TV-Produzenten wenig Interesse an der professionalisierten Publikumsvermittlung. Vor allem der Geldmangel zwingt sie dazu, die Ärmel selber hochzukrempeln. Oder die Gäste ihrer Shows einzuspannen, wie es bei den Partnerwahl-Sendungen üblich ist. «Wir sagen unseren Kandidaten: Ihr bringt auch das Publikum mit. So haben wir immer Zuschauer», sagt «Swiss Date»-Moderatorin Patricia Boser.
Der Versuch, ein Stammpublikum und ein Wir-Gefühl zu schaffen, gilt als weiteres Rezept für gefüllte Publikumsreihen und gute Stimmung. Boser sagt es so: «We are family.» Auch «Liebe auf den ersten Blick» stützt sich auf den Bekanntenkreis der Kandidaten. Zu Hilfe kommt der TV3-Partnerwahl-Sendung der Produktions-Rhythmus: An einem einzigen Abend werden jeweils drei Folgen produziert. So lassen sich die von den insgesamt 18 Kandidaten beigebrachten Gäste gleich für alle Aufzeichnungen einsetzen. Damit der TV-Zuschauer nichts merkt, werden sie einfach umgruppiert.
Aber das paketweise Abdrehen mehrerer Sendungen – in der TV-Produktion aus Kostengründen zunehmend üblich – erweist sich auch als Pferdefuss. Weil meist bereits am Nachmittag Drehbeginn ist, scheidet der arbeitende Mensch als Studiogast weitgehend aus. Für den Publikums-Mix ist das fatal, weil ausgerechnet im altersmässigen Mittelfeld ein Manko entsteht. «Dies widerspricht der modernen TV-Philosophie, nach der das Show-Publikum den angestrebten Altersdurchschnitt der Zuschauer vor dem Fernseher spiegeln sollte», sagt Publikumsvermittlerin Janine Blatter.
Die Überalterung des Studiopublikums ist eine Krankheit, an der vor allem das Schweizer Fernsehen DRS leidet. Im Unterschied zu den Privaten, die um jede Nase kämpfen müssen, stehen die Zuschauer Schlange, um einmal ihren Fernseh-Lieblingen bei der Arbeit zuzusehen. Sei es «Benissimo», «Casa Nostra», «Risiko», «Megaherz», «Viktors Spätprogramm» oder das «Sportpanorama» – die Popularität ist der grosse Magnet. Wer weniger beliebt ist, hat es auch bei SF DRS schwer. «Night-Moor» bekundete seinerzeit grösste Mühe, die Publikumsreihen einigermassen mit aufgewecktem Publikum zu besetzen.
Das geringe Mitfiebern mit dem Geschehen auf der Bühne ist eine weitere Eigenart, die beim Schweizer Fernsehen auffällt. «Dreinzureden gehört eben nicht zu unserer Mentalität, es gilt sogar als unanständig. Wir sind eben keine Italiener oder Spanier», sagt der bei SF DRS für die Aufnahmestudios zuständige Hanspeter Traub. Selbst bei einer politischen Streitsendung wie der «Arena» bleibt das Publikum in der Reserve. Die gutschweizerische Zurückhaltung verträgt sich aber nicht mit den neuen Talk- und Spiel- Shows. «Die vorne auf der Bühne brauchen die Stimmung und die Zurufe aus dem Publikum. Das motiviert sie zu Höchstleistungen», sagt Janine Blatter. Die Publikumsränge versteht sie als bewusst zu gestaltendes Puzzle: Nicht zu viele Blondinen nebeneinander, reine Männergrüppchen vermeiden, Personen in extravaganten Roben gut sichtbar platzieren.
Damit der schön gruppierte Haufen auch in Fahrt kommt, wird ein Animator eingesetzt. Mit Witz und Anleitung für das Verhalten während der Show versucht der «Warm-upper» die Zuschauer zum Kochen zu bringen. «Wenn wir etwas vom Publikum wollen, müssen wir ihm auch etwas bieten», sagt Blatter. Sogar in kurzen Aufnahmepausen stehen Lockerungsübungen auf dem Programm.
Das Schweizer Studiopublikum ist in seinen Ansprüchen vergleichsweise bescheiden und unverbraucht. In Deutschland, das bei der TV-Produktion nach neuerem Strickmuster einige Jahre Erfahrung voraus hat, wird das Studiopublikum mit Bargeld geködert.