Künstliches Leben verbreitet sich im Internet
Zwischen trockenen Bits und Bytes tummeln sich bunte Tropenfische in den weltweitenDatenströmen: Mit Hilfe einer ähnlichen Technik, wie sie die Musiktauschbörse Napster bekannt gemacht hat, können jetzt auch virtuelle Fische von einem Computer zum anderen schwimmen. In wenigen Wochen hat die kalifornische Software-Firma Dali (Distributed Artificial Life) auf diese Weise ein Aquarium eingerichtet, das sich von den USA über Europa bis nach Japan oder Afrika erstreckt. Mehrere zehntausend Computer haben sich bisher in dieses Internet- Aquarium eingeklinkt.
Die virtuellen Fische sind dem wirklichen Leben in den Korallenriffen der indonesischen Inselwelt nachgebildet: Da gibt es Drückerfische, Zackenbarsche, Schmetterlings-, Clown- und Fledermausfische. Sie werden mit einem Mausklick erzeugt, schwimmen eine Weile auf dem Bildschirm herum und verschwinden dann zu einem anderen Computer, der über einen «Peer» im Internet mit dem eigenen PC verbunden ist. Dieses «Peer-to-Peer-Netz» (P2P) bildet sich immer neu – je nachdem, welche Computer gerade eine Internet-Verbindung laufen haben.
Wer sich in die «Dali-World» begeben will, muss zunächst die Software herunterladen, die einschliesslich der benötigten Java-Komponenten rund 12 MByte gross ist. «Wir haben bisher mehr als 65 000 Downloads aus rund 100 Ländern registriert», sagt Dali-Mitbegründer Scott Yara. Nach dem Start des Programms wird automatisch die Verbindung zu anderen Peers gesucht – über diese zwei bis vier als Verbindungsrechner fungierenden Computer läuft die Interaktion mit den Fischfreunden in aller Welt. Jeder virtuelle Fisch hat einen «Pass», der unter anderem Auskunft gibt über Art, Geburtsdatum und Geburtsort. Man kann das Fenster zum Aquarium als Bildschirmschoner einrichten – das Meeresleben spielt sich dann weitgehend ohne Zutun des PC- Anwenders ab. Ebenso aber kann man auch alle Ecken des Aquariums erkunden, indem man die imaginäre Kamera mit den Cursor-Tasten über den Meeresgrund führt. Wohin ein Fisch im Datenstrom getragen wird, kann der Dali-World- Teilnehmer nicht beeinflussen – das wird allein von Software-Algorithmen gesteuert. Die Sicherheitsfunktionen von Java sollen es verhindern, dass die Fische heimtückische Viren oder Würmer übertragen.
Die Java-Software ist noch im Beta-Stadium, also noch nicht endgültig ausgereift. Eine weitere Beta-Version soll es noch in diesem Jahr geben, ehe im nächsten Jahr die Vollversion fertig ist. «Die künftigen Versionen der Software werden den Mitgliedern der Dali-World noch mehr Möglichkeiten geben, um sich auszutauschen», kündigt Yara an. Gedacht ist etwa an Online-Chatsoder Messaging – also an Echtzeit-Kommunikation über das Internet. Ausserdem soll es mehrstatistische Informationen zum jeweiligen Zustand der Unterwassergemeinschaft geben. Schliesslich wollen die Dali-Entwickler auch ihre Fische weiterentwickeln und sie mit komplexeren Verhaltensweisen ausstatten. Die vier Firmengründer kommen aus der Forschung in Bereichenwie mobilen Software-Agenten, künstlicher Intelligenz oder vernetzten Gemeinschaften. ZumTeam gehört auch Neville Spiteri, der für die visuellen Effekte des computeranimierten Spielfilms «Final Fantasy» zuständig war. Die Dali-World soll den Fischfreunden in aller Welt weiterhin kostenlos zur Verfügung stehen. Geld verdienen will das Unternehmen mit Lizenzen für Unternehmen etwa der Computerspielbranche.
Die Teilnehmer des globalen Aquariums tauschen unterdessen in einem Diskussionsforum ihre Erfahrungen aus: Welche Lieblingsfische gibt es? Was war der älteste bisher aufgetauchte Fisch? Welcher Fisch hat die längste Reise hinter sich gebracht? Die Programmierer werden mit Wünschen eingedeckt: Die einen wollen unbedingt auch Tintenfische erleben oder mit Haien etwas mehr Action in die friedliche Dali-World bringen. Ein Teilnehmer aus Deutschland schrieb: «Sehr eigenartig – aber was ist der Sinn des Ganzen?» – und erhält als Antwort die Aufforderung: «Streng einfach deine Phantasie an!»