Jack Schmuckli – Schutz-Engel
Jack Schmuckli, Exchef von Sony Europa, soll die angeschlagene Schweizer Think Tools sanieren.
Ein Fossil, ein Manager aus einem der verkalkten Konzerne der Old Economy, einer, der nicht mal seine Handy-Nummer kennt und Mühe hat, ein SMS zu schreiben oder einen Laptop zu bedienen. Vor einem Jahr wäre er im jungdynamischen Ambiente der New Economy noch als einer von vorgestern belächelt worden. Nun soll ausgerechnet er die Rettung bringen.
Jack Schmuckli, der bei Sony aus «Altersgründen» mit 61 in die Pension geschickt worden ist, muss dafür sorgen, dass die junge Firma Think Tools endlich abhebt. Denn das so genannte Start-up hat zwar den erfolgreichsten Schweizer Börsenstart aller Zeiten hingelegt, seither aber nur mit geplatzten Versprechen, mit regem Kommen und Gehen in der Chefetage und mit tiefroten Zahlen von sich reden gemacht.
Schmuckli hat sich eine herkulische Aufgabe aufgehalst, als er nach der Anfrage eines Headhunters und drei Tagen Bedenkzeit zusagte, den Job als Verwaltungsratspräsident der schwer angeschlagenen New-Economy-Firma Think Tools zu übernehmen. Denn ausser dem Restkapital von 87 Millionen Franken aus dem Börsengang und dem gut klingenden Firmennamen Think Tools – Denkwerkzeuge – ist vom «Weltmarktführer» im Wissensmanagement nicht viel geblieben.
Schmuckli, der bei Sony Europa 17’000 Angestellte und einen Umsatz von 14 Milliarden Franken managte, hat keine Angst, seinen guten Ruf («Ich bin nicht so eitel») beim Krisenfall Think Tools zu verlieren. Im Gegenteil: «Ich finde es nicht besonders mutig, wenn Leute mit so genannter Reputation nur Firmen anfassen, die keine Probleme haben», meint er ganz entspannt. Schmuckli braucht den Job nicht, der Mann ist längst saniert, logiert in seiner neu erbauten Villa am Ufer des Zürichsees und geht die Sache mit entsprechend viel persönlicher Distanz an. «Mein Wissen ist dort gefordert, wo es Probleme gibt, und das ist bei Think Tools der Fall», sagt er, «aber ich werde das Geschäft sicher nicht führen.» Er wird beaufsichtigen.
Flughafen Kloten, Montagmittag: Albrecht von Müller landet mit der Swissair-Maschine von Rom in Zürich. Verwaltungsratssitzung. Obschon von ihm an diesem Nachmittag tief greifende Entscheide über das künftige Vorgehen bei Think Tools erwartet werden, wirkt von Müller, Gründer und Mehrheitseigner des Unternehmens, gelassen, als ginge er zu einem Treffen mit Freunden. Dabei musste seine Firma vor wenigen Tagen abermals ein tiefrotes Ergebnis bekannt geben. Pro Monat läppern sich bei Think Tools mehr als zwei Millionen Franken Verlust zusammen. Die 40 Mitarbeiter erzielen nur gerade 300’000 Franken Umsatz. Die Firma, die am 24. März 2000 an der Börse noch 2,4 Milliarden Franken wert war, hat ein ramponiertes Image und steht nah am Abgrund.
Das muss ändern. Seit einigen Wochen arbeitet ein neues Management – es ist bereits das dritte Team seit der Börseneinführung – daran, zu retten, was zu retten ist. Nun liegt die Strategie, wie Think Tools in die Zukunft hinübergerettet werden soll, auf dem Tisch und wartet auf den Segen des Verwaltungsrates. Soll es eine Zukunft geben, braucht Think Tools Software-Produkte, die sich im grossen Stil auf der ganzen Welt verkaufen lassen.
Wie möglichst viele Software-Pakete von Zürich über Washington bis Tokio verkauft werden können, interessiert von Müller nur am Rand. Er spricht viel lieber davon, «wie unser Hirn funktioniert» und wie wir in vielen Bereichen «über unsere Augen Wissen besser aufnehmen und verarbeiten können als über Sprache». Das ist seine Passion, das interessiert ihn mehr als Businesspläne, Budgets und den optimierten Einsatz der verbliebenen 87 Millionen in der Kasse. Überhaupt scheint von Müller an Geld kaum interessiert: Bislang hat er keine einzige seiner vielen Aktien verkauft und will es auch in Zukunft nicht. Vielmehr denke er darüber nach, seine 56,3 Prozent an Think Tools dereinst in eine Stiftung einzubringen, sagt er.
Der Doktor der Philosophie steht im Ruf, ein genialer Verkäufer zu sein. Das kommt nicht von ungefähr, von Müller hat eine Mission: Die Welt wird immer komplexer. Mit seinen Denkwerkzeugen will er Regierungen und der Wirtschaft helfen, sie besser zu verstehen und zu steuern. Alles andere ist nebensächlich.
Peter Friedli, als Chef der Beteiligungsfirma New Venturetec im Verwaltungsrat von Think Tools, tickt da radikal anders. «Wo wir heute stehen, ist eine absolute Katastrophe» – er will endlich etwas von den Resultaten sehen, die nachzulesen sind in einer Studie, die Analysten der Bank Vontobel im Vorfeld des IPO verfasst haben – und von denen bis heute kein einziges wahr geworden ist. Im Gegenteil: Der Umsatz, der 1999 10,6 Millionen Franken betragen hatte, sollte sich – so die Lockrufe der Banker – im Jahr 2000 verdoppeln, dann auf 76,4 Millionen Franken anwachsen und im Jahr 2002 gar auf 183,1 Millionen Franken. In der gleichen Zeit würde sich – so das Kalkül bei der Bank Vontobel – der Reingewinn von 3,9 Millionen Franken auf 55,2 Millionen Franken verfünfzehnfachen.
Peinlich auch für Friedli: Als Verwaltungsrat der ersten Stunde hat er die hochgeföhnten Think-Tools-Projektionen mitzuverantworten. Das gilt auch für die Bank Vontobel, die das Zürcher Software-Unternehmen so rasch wie möglich an die Börse bringen wollte und mit ihren offensiven Plänen die Credit Suisse First Boston (CSFB) austrickste. CSFB hat für das IPO ein gemächlicheres Tempo eingeschlagen, hielt Think Tools zu jenem Zeitpunkt noch nicht reif für den freien Markt.
«Wir haben uns getäuscht und die Chancen falsch eingeschätzt», macht Sergio Terribilini von der Bank Vontobel auf Im-Nachhinein-ist-man-immer-schlauer. Vor möglichen Folgen für die uneingetroffenen Verheissungen fürchtet sich Terribilini nicht. «Wut und Rechtsanspruch der Aktionäre sind zwei Paar Schuhe», meint er nur.
Friedli will nun von einem Experten untersucht haben, ob das Schicksal von Think Tools einfach Pech war, oder ob Fehler gemacht worden sind, für die jemand geradezustehen hat. Mit diesen Fragen betraute der Verwaltungsrat den Zürcher Uniprofessor Hans Peter Wehrli. Und eine seriöse Abklärung, ob Prospekthaftung oder Irreführung von Anlegern durch Analysten vorliegt, ist nicht ohne Brisanz.
Börsengänge entwickelten sich in jenen Monaten zu einem Kartell von Insidern, die bei naiven Kleinanlegern abkassierten. Denn bei so stark überzeichneten Aktien erhielten nur wenige bevorzugte Partner und Kunden der Emissionsbank welche zugeteilt. Trotzdem wurde der Appetit auf die Aktie mit schönfärberischen Projektionen angeheizt. Die von der Gier getriebenen Kleinanleger deckten sich dann bei explodierenden Preisen über die Börse ein. Sie gehören zu denen, die bis zu 1050 Franken für eine Think-Tools-Aktie bezahlten, die heute gerade noch knappe 20 Franken wert ist.
Sie waren leicht zu verführen, die kleinen Spekulanten. Es war die Zeit, als jeder Sparer nach schnellem Geld gierte und mit etwas Börselen das Taschengeld oder die Altersvorsorge aufbessern wollte. Wer mochte noch zu den langweiligen Obligationensparern gehören, wenn man doch jeden Tag von den neuen Millionären in den Medien vernahm? Und vor allem: Think Tools galt beim Volk als eine seriöse Sache, schliesslich sassen Grössen wie Altbundesrat Flavio Cotti im Verwaltungsrat.
All das ist Schnee von gestern für den Pragmatiker Schmuckli. Ihn interessiert nur, was sein wird – «ausser es gab ein Fehlverhalten von Verantwortlichen, das es uns ermöglicht, etwas für die geschädigten Aktionäre rauszuholen». Jetzt will er vor allem nach vorne schauen: «Think Tools hat eine gute Vision. Die Firma muss aber in der Lage sein, das Gebiet der wissensbasierten Management-Tools auch kommerziell zu erschliessen.» Und da kann er einiges aus seinem ganz persönlichen Erfahrungsschatz mit Think Tools beisteuern. Als er noch Chef von Sony Europa war, hatte ihm von Müller die Software vorgeführt. Schmuckli war fasziniert, wollte die Think Tools aber für Sony nicht haben. «Die Anwendung schien uns zu zeitintensiv.» Daher auch sein Credo: Think Tools muss von einer softwareunterstützten Beratungsfirma zu einem beratungsunterstützten Software-Haus mutieren.
Vor allem will Schmuckli sicherstellen, dass die neue Geschäftsleitung gemäss den Tugenden der Old Economy wirtschaftet: «Der Geldverbrauch muss auf ein Minimum reduziert werden», meint er vor der Verwaltungsratssitzung – und zwar mit der Gelassenheit eines Topmanagers, der schon viele Budgetkämpfe ausgestanden hat.
Die leeren Kaffeetassen und Gläser stehen noch auf dem Konferenztisch, als Albrecht von Müller am Dienstagabend nach der VR-Sitzung für eine Vorführung seiner Denkwerkzeuge den Laptop startet. Stolz präsentiert er die Think Tools, die er 1999 für die Entwicklung in Südafrika im Auftrag von Nelson Mandela entwickelt hat.
Warum zeigt er Sinn und Nutzen seiner Software nicht am Beispiel Think Tools? Das Unternehmen ist am Boden, hat zwar noch viel Bares auf dem Konto, vier motivierte Verwaltungsräte und ein ehrgeiziges Management, aber sonst nur Unbekannte auf dem Weg in die Zukunft. So müssen etwa die Denkwerkzeuge internetfähig und marktgängig werden. Für die neue Strategie steht zudem höchstens ein Drittel der verbliebenen Liquidität von Think Tools zu Verfügung. Den Rest will der Verwaltungsrat für Firmenkäufe oder einen weiteren Neuanlauf reservieren.
Eine komplexe Entscheidungssituation, ein Fall für seine Think Tools? Albrecht von Müller schweigt etwas verlegen und sagt dann: «Wir sind wie die Chirurgen, die können sich selber auch nicht operieren.»