«Ich will einen starken Staat»

DAVID DE PURY

Der Entrüstungssturm auf Lukas Mühlemanns Thesen überrascht ihn nicht. Die Wirtschaft spreche eine klare Sprache, sagt David de Pury.

–: Herr de Pury, Ihr Weissbuch hat vor vier Jahren einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, dieselbe Erfahrung macht nun CS-Chef Lukas Mühlemann.
DAVID DE PURY: Die Reaktionen kommen mir in der Tat bekannt vor.

–: Sie galten als Sozialabbauer und als «Globalo-Brutalo», ähnlich wie Mühlemann heute.
DE PURY: Die Explosion nach dem Weissbuch war noch heftiger. Das bürgerliche Lager hat sich heute auch stärker manifestiert, im positiven Sinn. Dies ist immerhin ein Zeichen, dass sich seit der Publikation unserer Schrift «Mut zum Aufschwung» einiges in der Schweiz bewegt hat.

–: Woran denken Sie?
DE PURY: Damals gab es die PTT noch, die SBB waren noch keine AG, von einer Liberalisierung im Energiemarkt war noch nicht die Rede. Wir steckten tief im Finanzschlamassel, der Staatshaushalt war noch defizitär.

–: Umso unverständlicher die Reaktion.
DE PURY: Auch wir waren über die Vehemenz der Reaktionen überrascht, denn unsere Vorschläge waren alles andere als neu. Einen Tag vor der Publikation des Weissbuchs hat mich ein Koautor angerufen und gesagt, unsere Thesen würden bestenfalls ein lautes Gähnen provozieren.

–: Es kam anders.
DE PURY: Ähnlich wohl wie heute. Ich fand die Reaktion auch deshalb erstaunlich heftig, weil Mühlemann in seinem Papier ausgesprochen hat, was unter Unternehmern zum Allgemeingut gehört. Einige Thesen entsprechen dem, was sich der Bundesrat zum Ziel gesetzt hat, anderes war in der FDP-Wahlplattform enthalten, einiges haben wir bereits in unserem Weissbuch gefordert.

–: Hat Mühlemann von Ihnen abgeschrieben?
DE PURY: Nein, unser Weissbuch war etwas umfassender und hat sich auf wirtschaftliche Themen beschränkt, etwa auf Arbeitsmarkt-Politik, Energie-Politik. Dann hat Mühlemann auch zum politischen System Stellung bezogen, was wir nicht getan haben. Ich halte das Papier von Mühlemann für sehr gut, mit der Stossrichtung bin ich einverstanden, es ist klar konzipiert und konzis in der Argumentation.

–: Die Lehren aus Ihren Erfahrungen im Umgang mit Ihrem Weissbuch?
DE PURY: Ich würde es nochmals schreiben, aber alleine. Wir waren 19 Mitverfasser, die nicht über alles derselben Ansicht waren, einzelne Teile mussten wir regelrecht aushandeln. Da gab es Leute, die waren gegen den EU-Beitritt, ich war dafür. Daraus ergaben sich Kompromisse, die ich nicht mehr machen würde.

–: Hatten Sie und Mühlemann die falschen Kommunikations-Berater?
DE PURY: Einer der Gründe für die Explosion von damals wie heute liegt darin, dass in der Wirtschaft eine andere, klarere, oft kompromisslosere Sprache gesprochen wird. In der Politik weckt dieser etwas andere Auftritt oft Misstrauen, man wittert einen Machtanspruch. Doch das ist völlig verfehlt. In einer direkten Demokratie hat jeder die Verantwortung und das Recht, seine Meinung in den Dialog einzubringen.

–: Welche Lehren gilt es für Unternehmer aus Ihren Erfahrungen zu ziehen?
DE PURY: Sie sollen weiter ihre Positionen einbringen, dürfen keine Angst davor haben, abgeschossen zu werden. Jeder muss bereit sein, sich mit Kritik auseinander zu setzen. Wenn sich Wirtschaftsleute öfters aussprächen und den Dialog konstanter führten, wenn sich die beiden Welten öfter träfen, dann hätten unsere Thesen und jene Mühlemanns für weniger Aufruhr gesorgt. Dieser Dialog aber fehlt weitgehend, leider.

–: Dann müssten Sie dies schleunigst nachholen.
DE PURY: Ich äussere mich oft. Aber Sie haben Recht: Die Unternehmer sind auf dem politischen Parkett nicht genügend präsent. Die Nachhaltigkeit dieses Dialogs fehlt.

–: Ihre Erfahrung und jene von Lukas Mühlemann wird wohl dazu führen, dass die Herren der Wirtschaft vollends auf Tauchstation gehen.
DE PURY: Was schlecht wäre. Das Auseinanderdriften zwischen Politik und Wirtschaft ist eklatant. Die Unternehmer sind immer mehr auf multinationaler Ebene und in multinational zusammengesetzten Gremien tätig. Die Politik bleibt national, weil die Akteure national gewählt werden. Dass ein Banker, speziell der Chef der ausgeprägt multinationalen CS, sich mit der Schweiz beschäftigt, ist ihm hoch anzurechnen.

–: Mühlemann will die direkte Demokratie in Teilen abbauen, um sie effizienter zu machen. Einverstanden?
DE PURY: Mühlemann spricht von Reformen, nicht von Abbau. Mit der Effizienz muss man in der Politik aufpassen. Weil da das Volk das letzte Wort hat, gilt es dieses zu überzeugen, was mitunter ziemlich viel Zeit in Anspruch nehmen kann. In der Wirtschaft wird entschieden. Die Überzeugungsarbeit kommt oft erst später. Für beide Bereiche gilt: Ein Entschluss wird nachhaltiger umgesetzt, wenn er von einem breiten Teil mitgetragen wird.

–: Wie schätzen Sie den Nutzen der direkten Demokratie ein?
DE PURY: Ich bin felsenfest überzeugt, dass die direkte Demokratie das modernste Politsystem ist im Zeitalter des Internets. Wenn derart viel im Fluss ist, halte ich es für unvorsichtig, einem Parlament für vier Jahre einen Blankocheck auszustellen. Nicht umsonst werden Elemente der direkten Demokratie jetzt auch in anderen Ländern, etwa in Lateinamerika, eingeführt.

–: Das Volk ist dagegen, dass Volksrechte beschnitten und die Unterschriftenzahl bei Initiativen nach oben geschraubt werden.
DE PURY: Wir können mit der direkten Demokratie leben. Und wenn der Druck vom Ausland stark genug ist – ich denke an die Zeit um den EWR –, können Volk und Parlament sehr schnell reagieren.

–: Wo sehen Sie Reformansätze für unser politisches System?
DE PURY: Ich denke, der Kern des Problems liegt nicht bei der Zauberformel oder dem fehlenden Präsidenten im Bundesrat. Das Hauptproblem liegt im ungenügenden Willen des Bundesrats, sich als Kollegium auf eine zielstrebige Politik zu einigen und sie konsequent durchzusetzen. Seit Jahren hält sich der Eindruck, dass jeder Bundesrat sein Departement führt und bei Divergenzen innerhalb des Kollegiums das Mitberichtsverfahren die Positionen verwässert. Daraus entsteht oft der Eindruck, der Bundesrat verwalte und führe nicht.

–: Immerhin hat der Bundesrat eine bürgerliche Mehrheit und könnte Positionen durchdrücken.
DE PURY: Richtig. Wenn der Bundesrat und seine Parteien glauben, sie würden mit einer neuen Parteienstruktur zu klareren Entscheiden kommen, müssten und könnten sie die Zauberformel aufbrechen. Es steht nirgends geschrieben, dass die Regierungskoalition eine von Kompromissen durchdrungene Politik führen muss.

–: Sie waren stets ein Verfechter eines EU-Beitritts. Mühlemann will gemäss seinen Thesen zuerst Erfahrungen mit den bilateralen Verträgen sammeln.
DE PURY: Da habe ich tatsächlich eine andere Sichtweise. Weil sich die EU laufend ändert und neue Entscheide trifft, werden die bilateralen Verhandlungen immer wieder neu beginnen. Deshalb, das heisst aus souveränitätspolitischen Gründen, sollten wir uns schleunigst daran machen, das Volk von einem EU-Beitritt zu überzeugen.

–: Firmen wie UBS, Nestlé oder Roche haben eben ihren Think Tank, eine Denkfabrik liberaler Ausprägung, ins Leben gerufen.
DE PURY: Eine sehr gute Idee. Ich habe acht Jahre in den USA gelebt und mich immer wieder vom Nutzen von Think Tanks überzeugt. Wichtig scheint mir vor allem, dass der neue Schweizer Think Tank nicht nur Studien verfasst, sondern auch vorher und nachher einen intensiven Dialog pflegt, und zwar mit breiten Kreisen. Deshalb ist es wichtig, dass die Stelle des Geschäftsführers mit einer jüngeren, dynamischen Persönlichkeit besetzt wird, die grosse kommunikative Fähigkeiten hat.

–: Wie schätzen Sie die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz heute ein?
DE PURY: Bedeutend besser als zur Zeit des Weissbuchs, doch sie ist noch immer ungenügend.

–: Geht es konkreter?
DE PURY: In den Bereichen Infrastrukturen, Soziales und Steuern ist noch vieles zu tun. Wir sollten zum Beispiel nicht den ganzen Spielraum, den wir bei der Mehrwertsteuer gegenüber der EU noch haben, ausgleichen. Wenn wir später bei einem EU-Beitritt die indirekten Steuern anheben müssen, sollte dies noch mit einem Abbau bei den direkten Steuern kombiniert werden können.

–: In der Wirtschaft gehört es zum guten Ton, eine Reduktion der Staatsquote einzufordern und den Staat zurückzudrängen.
DE PURY: Ja, die Staatsquote muss reduziert werden. Das bedeutet aber keineswegs, den Staat zu schwächen. Ich will einen starken Staat. Er soll dort, wo es ihn braucht, die Rolle eines wirksamen Schiedsrichters spielen können. Deshalb benötigen wir zum Beispiel eine starke Kartellbehörde, eine wirksame Kommunikations-Kommission. Dasselbe gilt für Banken-Kommission und Preisüberwacher.

–: Da beginnen die Differenzen. Seco-Chef Syz und CS-Chef Mühlemann wollen auf den Preisüberwacher verzichten.
DE PURY: Das halte ich für ein Missverständnis. Wenn es sich um die administrierten Preise handelt – und nur um diese kümmert sich der Preisüberwacher –, kann seine Aufgabe wettbewerbsfördernd und damit sinnvoll sein.

–: Irritiert es Sie nicht, dass ausgerechnet die Wirtschaftspartei, die FDP, oft wenig prägnante Positionen vertritt? Die Unterstützung für Ihr Weissbuch oder für Mühlemann blieb jedenfalls aus.
DE PURY: Ich bin FDP-Mitglied und wünsche mir eine noch liberalere FDP.

–: Die SVP hat da viel weniger Hemmung.
DE PURY: Die SVP ist für mich eine Partei mit einem populistischen, erzkonservativen, tief protektionistischen Instinkt. Eine liberale Gesinnung dagegen postuliert Öffnungen in jeder Beziehung, auch bezüglich Arbeitsmarkt, der Landwirtschaft, gegenüber der Europäischen Union. Für mich haben sich die Fronten ohnehin längst verschoben. Der Graben besteht heute zwischen reformistischen Kräften und konservativen. Neben der SVP gehört heute die SP zu den konservativsten Parteien des Landes. Dies im Gegensatz zur Sozialdemokratie in Grossbritannien, Deutschland oder sogar in Frankreich.

–: In der aktuellen Diskussion ist auch die Parteienfinanzierung aufs Tapet gekommen. Soll der Staat SP, SVP oder FDP finanziell unterstützen?
DE PURY: Ich bin dagegen, dass der Staat Parteien finanziert. Das ist Aufgabe des Volks, dazu gehören auch die Unternehmer. Ich plädiere für volle Transparenz: Die Parteien sollten ab einem bestimmten Betrag – vielleicht ab 20 000 Franken – offen legen, woher sie ihr Geld erhalten.

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