Ich bin kein Paradiesvogel
Thomas Borer, Botschafter in Deutschland, bemüht sich um mediale Aufmerksamkeit und gerät als «Diplomat Lustig» ins Schussfeld der Kritik.
–: Herr Borer, was ist mit Ihnen los?
THOMAS BORER: Warum? Mir geht es blendend, ich bin glücklich.
–: Seit zwei Monaten vermissen wir in den Berliner Zeitungen Party-Meldungen über das Ehepaar Borer-Fielding.
BORER: Es gab auch vorher nur eine einzige Nachricht über einen privaten Anlass, der in den Schweizer Medien übertrieben dargestellt worden ist. In Deutschland habe ich eine gute Presse. In Berlin findet ein grosser Kampf um Aufmerksamkeit statt, weshalb es ziemlich schwierig ist, sich hier schnell zu etablieren.
–: Das ist Ihnen gelungen. Sie sind mittlerweile das bekannteste Diplomaten-Paar der deutschen Hauptstadt.
BORER: Das ist Ihr Eindruck. Ich hoffe, dass mein Name in Berlin positiv besetzt ist. Das ist das Wichtigste.
–: Kommt unter Ihren Berufskollegen nicht Neid auf? Kein Botschafter-Paar erregt so viel Aufsehen wie Sie und Ihre Frau.
BORER: Mit Neid müssen wir alle ab und zu leben. Das tut manchmal weh, aber ich halte es da mit der Weisheit des ehemaligen Staatssekretärs Franz Blankart, wonach Neid die höchste Form der Anerkennung ist.
–: Die bekannte Berliner Party-Organisatorin Gräfin Hardenberg führt eine Promi-Kartei mit 17 000 Namen, die von A bis F nach Wichtigkeit sortiert sind. Legen Sie Wert darauf, in der Kartei ein Triple-A zu bekommen?
BORER: Als Botschafter der Schweiz ist es für mich wichtig, Zugang zu den relevanten Kreisen zu bekommen. Ob ich da als Triple-A oder als Z gelte, ist nicht wichtig.
–: Ist es wichtig, am Kostümfest eines Berliner Frisörs teilzunehmen?
BORER: Nein, das ist nicht wichtig. Das war auch kein gesellschaftlicher Anlass, sondern eine private Halloween-Party mit etwa zwanzig Personen, darunter allerdings durchaus relevante Persönlichkeiten.
–: Ihrem direkten Berner Vorgesetzten, Staatssekretär Franz von Däniken, hat dieser gesellschaftliche Einstieg in Berlin gar nicht gefallen.
BORER: Das glaube ich nicht.
–: Warum hat er Sie denn schriftlich gerügt?
BORER: Von einer Rüge kann keine Rede sein. Wir haben uns über die Art und Weise unterhalten, wie ein privates Foto der Party in die Medien kommen konnte. Ich habe ihm dargelegt, dass es sich dabei um den Vertrauensbruch eines Gastes handelte, dass aber die Teilnahme an einem derartigen Anlass auch einem Botschafter erlaubt ist.
–: Anschliessend hatten Sie in der Schweiz eine schlechte Presse. Die «Basler Zeitung» hält Sie seither für einen «Botschafter Lustig».
BORER: Wichtig ist, dass ich in Deutschland eine gute Presse habe. Hier berichten grosse Tageszeitungen über mich und über die Schweiz, die in diesen Blättern sonst nie oder nur am Rande vorkommt. Das ist wichtiger als negative Kommentare in Schweizer Zeitungen.
–: Trotzdem gibt es in Bern seit Ihrer Halloween-Party eine informelle «Lex Borer», die Sie zu einem zurückhaltenden Umgang mit den Schweizer Medien verpflichtet.
BORER: Nein, die Auflage gibt es nicht, das war meine Entscheidung, die ich bei meinem Amtsantritt getroffen habe. Meine Aufgabe ist es, die Schweiz in Deutschland und in deutschen Medien zu vertreten. Auftritte in Schweizer Medien sind zweitrangig, weshalb ich Dutzende von Interview-Wünschen aus der Schweiz abgelehnt habe. Dazu kommt, dass jeder Auftritt in der Schweiz bei gewissen Leuten Eifersucht auslöst.
–: Wer sind die «gewissen Leute»?
BORER: Das weiss ich nicht genau, Neidgenossen eben.
–: Sie sind der Paradiesvogel der Schweizer Diplomatie. Hat das Berufsbild des klassischen Diplomaten ausgedient?
BORER: Ich bin kein Paradiesvogel. Ich habe bei verschiedenen schwierigen diplomatischen Aufgaben meinen Mann gestanden. Aber es stimmt, das klassische Berufsbild hat sich geändert, weil Diplomaten heute andere Aufgaben haben als früher. Als ich als Chef der Task-Force Schweiz-Zweiter Weltkrieg in den USA war, wurde der Konflikt weitgehend über die Medien ausgetragen. Sie waren der Transmissionsriemen, um auf die Schweiz Druck auszuüben. Deshalb waren Medienauftritte ein wesentlicher Teil meiner Arbeit. Auf dem Hintergrund dieser Erfahrung bin ich überzeugt, dass die Öffentlichkeitsarbeit für Diplomaten immer wichtiger wird.
–: Vom Antichambrieren hinter verschlossenen Türen ins Rampenlicht der Öffentlichkeit?
BORER: Ja, wobei natürlich auch die nicht öffentliche Arbeit eines Botschafters sehr wichtig bleibt, vor allem die Fähigkeit zur Analyse der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Zur neuen Rolle des Diplomaten gehört, dass er im Ausland als Sprecher seines Landes auftritt und um die Aufmerksamkeit der Medien kämpft. Deshalb ist ein funktionierendes Beziehungsnetz mit den Medien von grosser Bedeutung.
–: Warum?
BORER: Das zeigt jetzt zum Beispiel der CDU-Spendenskandal: Wenn Sie die deutschen Zeitungen analysieren, werden Sie feststellen, dass trotz der Schweizer CDU-Konten über unser Land und unser Rechtshilfesystem mehrheitlich positiv berichtet wird. Diese wohl wollende Haltung ist nicht vom Himmel gefallen, sie ist auch das Ergebnis der Medienarbeit unserer Botschaft.
–: Kürzlich war CDU-Schatzmeister Matthias Wissmann bei Ihnen zu Besuch. Was haben Sie ihm geraten?
BORER: Ich rede in der Öffentlichkeit nicht über Gespräche, die ich mit meinen Gästen in der Residenz führe.
–: In Deutschland wundert sich niemand, dass das CDU-Geld in der Schweiz lag – wo denn sonst?
BORER: Deshalb rede ich ja in Deutschland vom neuen Finanzplatz Schweiz, der sauber ist. Ich versuche stets zu erklären, dass die CDU eine legale Partei ist, für die auch deutsche Banken ein Konto eröffnet hätten. Wichtig ist allerdings, dass wir dem Ausland beweisen, dass die Rechtshilfe effizient funktioniert.
–: Sie machen in der Öffentlichkeit eine Gratwanderung zwischen Diplomatie und Showbusiness. Wo ziehen Sie die Grenzen?
BORER: Ich versuche, Geschichten über mein Privatleben zu vermeiden.
–: Trotzdem erschien in einer Frauenzeitschrift kürzlich eine grosse Reportage über Ihre Frau.
BORER: Wenn wir unsere Aufgabe richtig machen wollen, dürfen wir nicht nur in renommierten Tageszeitungen vorkommen, wir müssen auch die Boulevardmedien berücksichtigen. Die haben auch in Deutschland Millionen Leser.
–: Gibt es bei Boulevardauftritten Tabus?
BORER: Ja, natürlich.
–: Zum Beispiel?
BORER: Da fällt mir jetzt auf Anhieb nichts ein, aber es gibt bestimmte Dinge, die ich nicht tun würde.
–: Würden Sie in einer Late-Night-Show mit Verona Feldbusch auftreten?
BORER: Nein.
–: Und mit Harald Schmidt?
BORER: Das ist ein Grenzfall. Über eine solche Einladung würde ich mit den Medienspezialisten in Bern reden.
–: Und «Wetten, dass …?» mit Thomas Gottschalk?
BORER: Auch das würde ich mit Bern besprechen.
–: Gibt es für den diplomatischen Balanceakt zwischen Seriosität und Show kein Handbuch?
BORER: Nein. Solche Entscheidungen sind dem gesunden Menschenverstand überlassen. Auch Aussenminister Joseph Deiss hat das diplomatische Korps kürzlich darauf hingewiesen, dass wir uns auf die Personalisierung und Boulevardisierung der Medien in unserer Arbeit einstellen müssen.
–: Wird damit auch die Diplomatie zunehmend boulevardisiert?
BORER: Nein. Boulevardisierung ist der falsche Begriff, ich würde eher von Flexibilisierung reden. In dieser Hinsicht hat sich das Berufsbild des Diplomaten in den letzten Jahren tatsächlich verändert. In den USA musste ich lernen, in 30-Sekunden-Statements im Fernsehen komplizierte Sachverhalte darzustellen. Wenn das Diplomaten im Konfliktfall nicht können, sind sie schlechte Interessenvertreter ihrer Länder.
–: Hat der CDU-Spendenskandal Ihr Deutschland-Bild verändert?
BORER: Nein. Der CDU-Skandal ist eine Krise der CDU, keine Krise Deutschlands.
–: Das sagt SPD-Kanzler Schröder auch immer.
BORER: Ich gehe mit ihm völlig einig. Auch die Vergleiche mit der Weimarer Republik halte ich für an den Haaren herbeigezogen. Mir hat der CDU-Skandal gezeigt, wie gesund im Grunde genommen das parteipolitische System in der Schweiz ist, wie Dinge, die wir oft als provinziell oder altmodisch belächeln, im Grunde genommen positive Auswirkungen haben.
–: Wie müssen wir das verstehen?
BORER: Es ist vielleicht ungesund, wenn ein Politiker 25 Jahre lang Vorsitzender einer grossen Partei bleibt. Es ist wohl besser, wie in der Schweiz, Parteipräsidenten zu haben, die alle sechs bis acht Jahre wechseln. Ausserdem habe ich aus dem CDU-Skandal gelernt, wie wichtig es ist, dass das Parlament die Regierung richtig überwachen kann und dass die Gewaltenteilung funktioniert.
–: Altkanzler Kohl war ein guter Freund der Schweiz und mit dem ehemaligen Aussenminister Flavio Cotti persönlich befreundet. Wie gehen Sie damit um?
BORER: Ich pflege in Deutschland Beziehungen zu allen Parteien, auf Kohls Sympathie für die Schweiz bin ich dabei noch nie angesprochen worden. Ausserdem gibt es auch in der rotgrünen Regierung viele Minister, die der Schweiz wohlgesinnt sind.
–: Nur Kanzler Schröder hat seinen überfälligen Antrittsbesuch schon zweimal abgesagt.
BORER: Da ist Schröder nicht der Einzige, auch andere benachbarte Regierungschefs wie etwa der französische Premierminister Lionel Jospin waren noch nicht in der Schweiz.
–: Für deutsche Kanzler ist diese Distanz unüblich. Traditionell gehört die Schweiz zu den ersten Ländern, die nach einem Regierungswechsel besucht werden.
BORER: Da müssen wir halt nun zur Kenntnis nehmen, dass ein so wichtiges Land wie Deutschland andere Prioritäten setzt. Der ausgezeichneten Qualität der Arbeitsbeziehungen zwischen den beiden Ländern tut das keinen Abbruch: Bundespräsident Rau wird der Schweiz im Mai einen Staatsbesuch abstatten, Schweizer Bundesräte treffen regelmässig deutsche Minister.
–: Dennoch ist es in Berlin ein offenes Geheimnis, dass Schröder im Gegensatz zu Kohl keine besondere Vorliebe für die Schweiz hat.
BORER: Ich weiss nicht, wie sehr Helmut Kohl die Schweiz geliebt hat, ihn kenne ich im Gegensatz zu Gerhard Schröder nicht persönlich. Ich weiss nur, dass Kanzler Schröder mir gegenüber als Vertreter der Schweiz von grosser Herzlichkeit ist. Er kennt mich, er weiss, wer ich bin, und ich glaube nicht, dass er alle Botschafter in Berlin persönlich kennt.
–: Wahrscheinlich kann sich auch der Medienkanzler Schröder vor allem an die Schlagzeilen über Ihre Frau erinnern.
BORER: Er hat sie bis anhin nicht persönlich kennen gelernt. Fest steht für mich nur, dass man aus den Absagen seiner Schweiz-Besuche nichts konstruieren darf. Wir haben normale Beziehungen mit Deutschland, die in vielen Bereichen hervorragend sind.