Hannibal ist zurück
«Hannibal» von Thomas Harris ist das literarische Event des Jahres, wenn nicht des Jahrzehnts. – bringt einen exklusiven Vorabdruck aus dem Buch.
Der Autor hält keine Lesungen und Signierstunden ab. Er lässt sich ungern fotografieren und gibt keine Interviews. «Nicht einmal für eine Million Dollar», sagt sein Agent. Von seinem Privatleben weiss man im Wesentlichen, dass die Frau Pace und die Tochter Anne heisst. That’s it.
Thomas Harris, 58, ist ein scheuer Mensch. Und doch macht er Furore wie kaum ein anderer lebender Autor. Ende Woche kommt auf Deutsch «Hannibal». Der Thriller, ersehnte Fortsetzung zu «Das Schweigen der Lämmer» von 1988, gilt als Buch-Event des Jahres.
Klar, John Irving, Tom Wolfe, Isabel Allende, Donna Leon, Günter Grass räumen dieser Tage auch ab. Doch Harris ist ein paar Nummern grösser. Nur schon die Startauflage: 250 000 Stück wirft der Hamburger Verlag Hoffmann & Campe auf den Markt. Das gibts alle Jahre einmal.
Über 1,5 Millionen betrug die Startauflage im Juni in Amerika – Rekord. In der US-Presse wurde «Hannibal» mit «Star Wars» verglichen: «Wenn &Mac220;The Phantom Menace&Mac221; das grösste Filme-Ereignis der Dekade war, dann ist Hannibal über lange Zeit das grösste Buch-Ereignis.»
Harris und seine drei Romane um den Menschen fressenden Psychiater Dr. Hannibal Lecter und dessen Verfolgerin, das FBI-Aschenputtel Clarice Starling – eine Erfolgsstory sondergleichen. «Das Schweigen der Lämmer», zweiter Teil der Moritat nach «Roter Drache», verkaufte sich elf Millionen Mal. Der Film bekam fünf Oscars und spielte 273 Millionen Dollar ein.
«Hannibal» spinnt die Geschichte fort. Dr. Lecter hat sich eine neue Identität als Kurator eines feinen Florentiner Museums zugelegt. Starling, von FBI-Intriganten bedrängt, heftet sich an seine Fersen. Dann ist da Mason Verger, pädophiler Millionär und verstümmeltes Opfer einer Psychotherapie Marke Lecter. Er plant seine private Rache.
Vom «dritten und vergnüglichsten Teil einer einzigen, sehr langen und sehr gruseligen Reise durch das Spukschloss der abnormen Psychiatrie» schwärmte Thriller-König Stephen King in den «New York Times». Doch das kommerzielle und mediale Mega-Ereignis «Hannibal» ist inhaltlich umstritten. Manche Kritiker bemängeln die Zeichnung von Dr. Lecter als Übermenschen, der mit seinem Wissen über Dante Florenz dominiert, aus dem Gedächtnis virtuos Bachs «Goldberg-Variationen» spielt und der zweitbeste Mathematiker der Welt ist.
Dass der intellektuelle Superman anderseits banalisiert wird, indem er eine Biografie erhält, stört wieder andere. Lecters Schwester wurde im Baltikum von hungrigen Wehrmachtsoldaten gegessen, erfährt man in «Hannibal».
Die Grausamkeiten potenzieren sich im neuen Thriller zum makabren Superlativ. Einem Hilflosen im Rollstuhl wird ein Aal mit dolchscharfen Zähnen in den Hals gestopft. Einen anderen fressen eigens dafür dressierte Wildschweine. Hannibal «The Cannibal» verspeist sautiertes Hirn vom lebenden Menschen, der dies, örtlich betäubt, miterleben muss. Schockierend auch, wie sich die Beziehung Starlings zu Lecter entwickelt. Neun Millionen Dollar kassierte Autor Harris für die Filmrechte an «Hannibal», Rekordsumme für ein Buch. Rund 45 Millionen Dollar Gage waren fürs Kino-Erfolgstrio Jonathan Demme (Regie), Anthony Hopkins (Lecter), Jodie Foster (Starling) vorgesehen. Doch Regisseur Demme hat sich inzwischen zurückgezogen. Zu grausig findet er das Buch.
Thomas Harris ist zu keinen Kompromissen bereit. Er will Hollywood nicht den Gefallen tun, seine Story abzuschwächen.