Geschäfte von der Stange

Selbstständig werden, ohne deswegen gleich das Rad neu zu erfinden: Franchising macht es möglich. Das Vertriebssystem findet auch in der Schweiz zunehmend Verbreitung.
Von Jost Dubacher

Alice De Candido, Schuler Weine
Die 37-jährige Alice De Candido feiert in diesen Tagen das einjährige Bestehen ihrer Weinkiste St. Jakob. Zwar arbeitet sie als Selbstständige jetzt zwischen 50 und 60 Stunden in der Woche, doch sie ist rundum zufrieden mit ihrer Situation. Die Betreuung durch das Franchiseteam der Schwyzer Weinhandlung Schuler sei ausgezeichnet, und entsprechend stimmen auch die Umsätze. Einzige leise Kritik: Sie bedauert, dass Franchisegeber Jakob Schuler junior noch nie in ihrem Laden war.

Ich kenne viele leute, und viele Leute kennen mich.» Alice De Candido, stolze Besitzerin der Sankt-Galler Weinkiste St. Jakob weiss, worauf es im Detailhandel ankommt: auf Beziehungspflege und Kundennähe. Dabei hat die 37-jährige ehemalige Serviceangestellte den Sprung in die Selbstständigkeit erst vor einem Jahr gewagt. Sie sei «vielleicht ein Naturtalent», sagt De Candido, und das darf man ihr glauben: Sie verkauft jetzt beispielsweise zum italienischen Wein auch Pasta und Sugo oder ermässigt, wenn im nahen Olma-Gelände Hochbetrieb herrscht, die Ladenpreise um zehn Prozent. Das Resultat: Alice De Candido hat den fürs erste Jahr budgetierten Umsatz um knapp 50 Prozent übertroffen.

Profitiert hat sie dabei selbstverständlich auch vom breiten Kundenstamm, den ihr Franchisegeber, das Schwyzer Weinhandelshaus St. Jakobskellerei, über die Jahre in der Ostschweiz aufgebaut hat. Die potenzielle Kundschaft kannte ihr Produkt vom Versandgeschäft her, was De Candido einen markanten Vertrauensvorschuss einbrachte.

Solche Rahmenbedingungen erleichtern den Start und treiben auch die langfristigen Überlebenschancen markant in die Höhe. So gehen die Branchenverbände davon aus, dass von den normalen Schweizer Start-ups durchschnittlich nur 35 Prozent die ersten fünf Jahre überstehen, während es im Franchsing über 80 Prozent seien.

Dementsprechend attraktiv ist das Franchising in den letzten Jahren geworden. Selbst wo Investitionen im siebenstelligen Bereich nötig sind ­ zum Vergleich: Alice De Candido war mit rund 70 000 Franken im Geschäft ­, drängeln sich die Bewerber. Deshalb kann etwa McDonald’s, der Primus unter den Schweizer Franchisesystemen, alle dreissig Tage ein neues Imbissrestaurant eröffnen. Und jetzt kommen auch immer mehr europäische Firmen auf den Geschmack. Am Schweizer Franchise-Forum 99 kündigten jedenfalls unzählige Systeme aus der Schweiz, Österreich und Deutschland ihren Start fürs Jahr 2000 an.

Für Roland Nydegger, Sekretär der Stiftung KMU Schweiz, ist das ein Grund, demnächst einen «Ratgeber Franchising» zu publizieren. Zumal er weiss, dass «das Franchising in der Schweiz ganz klar Nachholbedarf hat». Eine Beobachtung, die auch vom Verhalten der Banken bestätigt wird: Sie berücksichtigen die spezielle Situation der Franchisenehmer bei der Kreditvergabe noch kaum. «Für Franchisenehmer gelten bei uns immer noch die gleichen Kriterien wie bei anderen Jungunternehmern», sagt Rudolf Messerli von der Kantonalbank Baselland.

Max Lienhard,
Hess Holding
Max Lienhard ist Geschäftsführer des Berner Getränke- und Gastrounternehmens Hess Holding. Mit jährlich siebenstelligen Werbeausgaben sowie dem kombinierten Vertrieb über Detailhandel und Franchisebetriebe ist es seiner Firma gelungen, das in den Sechzigerjahren erstmals gezapfte Valserwasser zum meistgetrunkenen Mineralwasser in den Schweizer Haushalten zu machen. 1999 wurden vom Wasser aus dem Bündner Valsertal weit über 100 Millionen Liter verkauft.

Da kommt es gelegen, dass es auch Systeme gibt, die praktisch ohne Vorinvestitionen von Seiten des Franchisenehmers auskommen. Eines von ihnen hat die Berner Hess Holding, Produzentin und Vertreiberin des Valserwassers, geschaffen. Dort erhalten die so genannten Verkaufsfahrer in einer ersten Phase einen Angestelltenvertrag, der ihnen einen Minimallohn garantiert. Dazu gibt es einen Hubstapler, einen Lastwagen sowie ein von den Valser Mineralquellen angemietetes Getränkedepot. «Die Betriebsmittel, die wir den Partnern zur Verfügung stellen, kommen uns auf einen sechsstelligen Betrag zu stehen», sagt Max Lienhard, VR-Delegierter der Valser Mineralquellen. Gebucht werden diese Investitionen zu Lasten des Verkaufsfahrers, der verpflichtet ist, seine Schuld aus den laufenden Erträgen abzutragen. Sobald die Betriebsmittel amortisiert sind, ist der Fahrer selbstständig. Als das Valserwasser in den Sechzigerjahren lanciert wurde, befand der Detailhandel das Produkt für überflüssig und sperrte die Regale. Das Verkaufsfahrersystem wurde gewissermassen aus der Not geboren. Doch mit der Zeit erwies es sich als ideales Marketing- und Vertriebstool, weshalb man es auch beibehielt, als der Detailhandel einlenkte. Heute kommt immer noch jede dritte Flasche Valserwasser via Verkaufsfahrer in die Haushalte. «Unser Verkaufsfahrersystem ergänzt den Vertrieb über den Detailhandel optimal», sagt Max Lienhard. Mit dem zweiten Vertriebskanal habe er zudem ein exzellentes Mittel zur Feinsteuerung der Marktpräsenz an der Hand: «Da entsteht Mensch-zu-Mensch-Werbung.»

Als Pendant zum bewährten Versandgeschäft hat auch die St. Jakobskellerei das Franchising aufgezogen: «Wir wollten näher zum Kunden», kommentiert Jakob Schuler junior. Und dafür hat er vor zehn Jahren viel Geld in die Hand genommen. Die wichtigsten Kostenfaktoren waren und sind die Markenwerbung sowie das dreiköpfige Marktteam, das für die Betreuung der Franchisenehmer zuständig ist. Wobei zusätzlich ins Gewicht fällt, dass immer noch ein nicht zu unterschätzender Teil des Umsatzes bei den Franchisenehmern auf Kosten des traditionellen Versandhandels geht.

Für Schuler geht die Rechnung trotzdem auf, denn er ist überzeugt, dass er dank dem Franchising die Kundenzufriedenheit steigern konnte. Anders kann es bei Firmen aussehen, die das Franchising nur als zusätzlichen Vertriebskanal nutzen und in erster Linie Umsatzsprünge im Auge haben. Ohne klares Konzept laufen sie leicht Gefahr, dass sie ihre Umsätze bloss umlagern und erst noch mit den neuen Vertriebspartnern teilen müssen. Euphorische Meldungen über die «Jobmaschine Franchising», wie sie von Verbänden und anderen Interessengruppen immer wieder lanciert werden, sind denn auch mit Vorsicht zu geniessen. Von den 40000 deutschen Arbeitsplätzen, die das Franchising allein 1999 geschaffen haben soll, dürfte eine beträchtliche Anzahl auf das Konto der Kannibalisierung gehen. Das heisst, die Arbeitsplätze, die in den Franchisingsystemen entstanden sind, haben einfach Jobs in bestehenden Vertriebsstrukturen verdrängt.

Shared risk, shared rewards: Zwei Unternehmen teilen Risiko und Gewinn. Wie sie das tun, ist völlig offen. Allein die Beispiele Valserwasser und St. Jakobskellerei zeigen, wie unterschiedlich man ein vertikales Vertriebssystem aufbauen kann. Dementsprechend gibt es auch keinen standardisierten Franchisingvertrag. Mehr noch: Das Obligationenrecht kennt den Begriff Franchising gar nicht. Diese rechtliche Leerstelle mag mit ein Grund sein, weshalb immer wieder Franchisegeber auftauchen, die auf die Unerfahrenheit ihrer potenziellen Vertriebspartner spekulieren und es ausnutzen, dass ein Franchisenehmer bei der Festlegung der Firmenstrategie keinerlei Mitspracherecht hat. Zudem setzen sie auf den oft massiven Grössenunterschied zwischen den Partnern. Was vor allem dann von Bedeutung ist, wenn sich der Franchisenehmer betrogen fühlt: Kaum ein Kleinunternehmer wagt die Auseinandersetzung mit den gewieften Rechtsanwälten seiner Zentrale.

Dass es sich bei diesen schwarzen Schafen beileibe nicht immer um obskure No-Names handelt, zeigt das Beispiel Benetton. Das italienische Label ist bekannt für seine unzimperlichen Praktiken gegenüber den Vertriebspartnern. Gerhard Rechsteiner*, ein ehemaliger Benetton-Händler, redet Klartext: «Ich bin ausgestiegen, als die Gesamtumsätze von Benetton stagnierten, denn mit unseren Verträgen war von da an kein Geld mehr zu verdienen.» Der Grund: Wie alle anderen Benetton-Partner musste auch er die Produkte jeweils ein knappes Jahr im Voraus bestellen. Und ein Rückgaberecht existierte nicht: Pullover und Hemden, die nicht liefen, landeten im Ausverkauf. Ausserdem hat Benetton laut Rechsteiner alle zwei Jahre neue Ladeneinrichtungen lanciert, und die Händler seien de facto gezwungen gewesen, diese auch zu kaufen. In Freiburg, am Hauptsitz von Benetton Schweiz, stellt man diese Regelungen nicht in Abrede, nennt sie aber «normal». Der stellvertretende Direktor Jacques Deillon nennt seine Vertriebspartner vornehm «Kunden» und verweist kühl auf die unternehmerische Freiheit des Einzelnen: «Wir zwingen niemanden, und wenn es nicht funktioniert, ist das eben ein Teil des Risikos.»

Firmen wie Benetton haben eine globale Ausstrahlung. Sie finden auch immer wieder Händler, die weniger aus kommerziellen Überlegungen als viel mehr aus Prestigegründen einsteigen. Umso vorsichtiger sollten die echten Neuunternehmer sein: Im Geschäft mit solchen Imagegiganten ist das Geben einer Franchise ungleich seliger als das Nehmen. Attraktiver sind da schon Firmen, die zwar bewährte Produkte und Dienstleistungen vertreiben, die aber auf dem Heimmarkt des Franchisenehmers noch kaum bekannt sind. In solchen Fällen ist der Stellenwert der Partner für die Zentrale naturgemäss höher, mit der Folge, dass auch die Verträge tendenziell nehmerfreundlich ausfallen.

Teddy Keifer, Remax
Teddy Keifer ist überzeugt vom Remax-Konzept. Ansonsten hätte er für die
Übernahme der Schweizer Generalfranchise des Immobilienunternehmens
aus Denver, Colorado, keine sechsstellige Summe auf den Tisch gelegt.
Jetzt ist der frühere Nationaltrainer der Windsurfer daran, Franchisenehmer
zu rekrutieren. Funktioniert alles wie geplant, dürfte der Remax-Ballon ­
das offizielle Konzernlogo ­ auch in der Schweiz schnell an Höhe gewinnen.

Dabei muss ein fairer Umgang mit den Partnern keineswegs auf Kosten der Rendite gehen. Im Gegenteil, seine wichtigsten Vorteile ­ Standardisierung, gemeinsamer Einkauf und einheitlicher Auftritt ­ kann das Franchising nur zur Geltung bringen, wenn die Marktdurchdringung schnell wächst, und dazu braucht es eben hochmotivierte Mitunternehmer. Nur so kann ein Franchisingsystem schliesslich auch seine ganze Stärke ausspielen: tiefe Preise am Point of Sale bei gleichzeitig garantierter Qualität. Ein rationalisierender Effekt des Franchising, den jetzt übrigens auch die EU-Kommission anerkennt. Im revidierten EU-Wettbewerbsrecht, das im Gegensatz zum helvetischen Recht bisher praktisch alle Absprachen in vertikalen Vertriebsstrukturen verboten hat, sollen gewisse Formen des Gebietsschutzes in Zukunft wieder erlaubt sein. Die Begründung: Der konkrete Nutzen des Konsumenten wiege schwerer als die formalen Beeinträchtigungen des freien Wettbewerbs. Eine Firma, die sich die effizienzsteigernde Wirkung des Franchising geradezu exemplarisch zu Nutze macht, ist die amerikanische Immobilienhandelsfirma Remax. Sie betreibt weltweit 3300 Büros und startet dieser Tage in den Schweizer Markt. Generalfranchisenehmer Teddy Keifer gibt sich selbstbewusst: «Bis Ende Jahr will ich eine Marktabdeckung von 25 Prozent erreichen.» Seinen Optimismus schöpft Keifer aus den Vergleichszahlen in Deutschland: Dort hat Remax in den vergangenen drei Jahren rund 100 Franchisenehmer gefunden, die ihrerseits wieder einige Hundert Mitarbeiter beschäftigen, entweder als Festangestellte oder als freie Makler auf Lizenzbasis. Daneben baut Keifer auf den für die Schweiz neuartigen Business-Case von Remax. Vereinfacht ausgedrückt, arbeiten die Remax-Immobilienhändler in einem weltweiten Pool, in den alle Kauf- und Verkaufsangebote eingespiesen werden, wobei bei einem abgeschlossenen Geschäft jeder der beiden beteiligten Remax-Händler einen Teil der resultierenden Provisionen erhält. Zusätzlichen Schwung erhält das Geschäft durch das so genannte Referral-System: Bei einem abgeschlossenen Geschäft kassiert nicht nur der Franchisenehmer, sondern auch jener angeschlossene Makler, der den entscheidenden Tipp gegeben hat. Momentan klappert Keifer die Büros der Schweizer Immobilienhändler ab: «Vor allem junge Händler sind dem Remax-System gegenüber aufgeschlossen.» Nicht zuletzt weil die Makler ihre bisherigen Geschäftsbeziehungen auch mit einer Remax-Lizenz pflegen dürfen. Das Remax-System generiert insofern nur Zusatzgeschäfte. Zudem laufen die Franchiseverträge nur fünf Jahre. Verlängert der Nehmer nicht, verliert er zwar den Zugang zum Remax-Pool, von seinen neu gewonnenen Beziehungen darf er hingegen weiterhin profitieren. «Ausgestiegen ist bei uns allerdings noch keiner», stellt Teddy Keifer klar, «dazu ist das System zu lukrativ.»

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