Formel Frau
Eine weitere Männerbastion wurde geschleift:
Immer mehr Frauen begeistern sich für den Motorsport. Nicht nur wegen der Fahrer.
Der peinlichste Fehler in der Geschichte der Formel 1 geht klar auf Kosten von Ferrari: Mein Gott, wie peinlich das damals war, an diesem denkwürdigen 26. September 1999, als die Mechaniker in der 22. Runde den vierten Reifen von Irvines Wagen nicht mehr finden konnten. 28,8 Sekunden verplempert! Die kleine Frauenrunde ist beim Fachsimpeln kaum zu bremsen.
Frauen, die Männergespräche über die Formel 1 führen? Eingefleischte weibliche Fans, die von begnadeter Fahrtechnik, ausgeklügelt geplanten Boxenstopps und unschlagbaren Team-Strategien schwärmen? Ja, das gibt es. Frauen wollen heutzutage mitreden in der Formel 1 und sich nicht mehr mit der Statistinnenrolle als leicht bekleidete «Boxenluder» begnügen. «Mittlerweile ist es trendy, Formel 1 zu schauen», sagt Christine Jäger, 28. Ganz anders als noch vor einigen Jahren, als die Formel 1 noch «voll der Prolo-Sport» gewesen sei. Die Eventmanagement-Projektleiterin verfolgt das Renngeschehen nun schon seit über sechs Jahren. Ihr Interesse entwickelte sich nach und nach: Weil Christine am Sonntag immer so fix und fertig von der Samstagnacht war, kamen ihr die monoton ihre Runden drehenden Autos am Sonntagnachmittag gerade recht. «Irgendwann aber hatte ich den Durchblick und wollte keine Minute mehr verpassen – das ist bis heute so geblieben.»
Ähnlich geht es Nicole Ronzani, 31. Um den Grand Prix von Malaysia zu sehen, ist die Marketingmanagerin gern bereit, den Wecker auf drei Uhr morgens zu stellen, aus dem warmen Bett zu steigen und sich vor dem Fernseher – bei Prosecco und Chips – zu platzieren.
Leute wie Peter Unfried, der stellvertretende Chefredaktor der deutschen Zeitung «taz», sind also nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Er erklärte kürzlich in einem Interview, warum die «taz» sich nicht dazu hergeben wolle, über den Benzin fressenden Motorsportzirkus Formel 1 zu berichten. «Formel 1 zu schauen, ist der archetypische Ritus des geistig zurückgebliebenen Mannes.»
Der Mann wird sich wundern. Sogar die Frauenzeitschriften sind neuerdings voll auf Formel-1-Kurs. Bis vor kurzem schrieben sich deren Kolumnistinnen noch in Fahrt, wenn sie über den Bier trinkenden männlichen Formel-1-Glotzer herzogen, der sonntags zur trägen Couchpotato mutierte. Heute schreiben diese Blätter über den «Sexappeal der Formel-1-Fahrer» («In-Style»); die britische Modezeitschrift «Elle» setzt für eine Modestrecke Models in der Boxengasse ins Szene, und das Schweizer Frauenmagazin «Bolero» widmet der Formel 1 in der aktuellen September-Nummer unter dem Titel «Formel Farbe» sechs Seiten rasante Make-up-Kunst: «Starke Looks in der Poleposition».
Den Sport richtig schmackhaft gemacht hat den Frauen allerdings ein Mann: Robbie Williams. Der Sänger schlüpfte vor einem Jahr in seinem Video zum Schmacht-Fetzen «Supreme» in die Rolle des Rennfahrers «Bob Williams» und katapultierte sich an die Spitze der Charts. «Nach ‹Supreme› fanden plötzlich auch absolute Gegnerinnen Formel 1 okay», sagt Daniela Kraus, 24.
Die kaufmännische Angestellte aus Schaffhausen ist froh, dass sie in Zürich arbeitet. Hier sei sie «wenigstens auf ein paar gleichgesinnte Frauen» gestossen. Ein weiblicher Rückhalt gegen die vielen Männer, die immer noch komisch auf weibliche Formel-1-Fans reagieren. «Manchen macht es einfach Angst, wenn sich Frauen gut in einem typischen Männergebiet auskennen», sagt Ronzani.
«Ich glaube aber nicht, dass die Frauen nur den Glamour der Formel 1 mögen, das wäre zu banal – es steckt mehr dahinter», meint Louise Goodmann. Sie ist seit Jahren als Formel-1-Reporterin für den englischen Sender ITV in den Boxengassen unterwegs. Auch ihr fällt auf, dass sich mit jeder Saison mehr Frauen für die Formel 1 interessieren und dass weibliche Fans besonders leidenschaftlich, ja fanatisch seien. Und viele fahren durchaus auch auf technische Fragen ab. Die Maschinenbau-Ingenieurin Vera de Vries-Brühlmann, 26, achtet darauf, «welche Pneus bei Regen eingesetzt», nach «welchen Kriterien die Boxenstopps bestimmt» werden. «Das sind lauter Faktoren, die ein Rennen erst richtig spannend machen.»
Zwar war Vera während ihrer Studienzeit immer eine Ausnahme in der männerdominierten Fakultät – in ihrem Jahrgang betrug das Verhältnis Frauen zu Männern zwei zu hundert -, doch unter lauter Motoren-Freaks fühlte sie «sich nicht wirklich als Exotin». Autos haben sie schon immer fasziniert. Ihr persönlicher Favorit im Privatleben: «Der Alfa Romeo 33. Entweder man liebt oder man hasst den Alfa», sagt sie, «das ist nicht wie bei einem Golf, wo es auch das Zwischendrin gibt.»
Die meisten Formel-1-Liebhaberinnen fahren selbst flott durch die Gegend. Nicole Ronzani zieht den Platz hinter dem Steuer in jedem Fall dem Beifahrersitz vor: «Mit einem Turbo unter dem Hintern und einigen Extra-PS machts einfach mehr Spass.» Um wenigstens gelegentlich in den Genuss des Formula-uno-Feelings zu kommen, fährt Christine Jäger in der Freizeit manchmal Gokart. Diesen Sommer nahm sie an einem – von einem Zürcher Herrenklub organisierten – Gokart-Rennen in Wohlen AG teil und landete auf Rang zwei. «Das hat die Jungs gewurmt», sagt Jäger. Gründe für das überraschende Resultat wurden gesucht und schnell gefunden, «sie hatten alle möglichen Ausreden auf Lager: Gewicht und Grösse – das seien halt alles Vorteile für Frauen».
Dabei ist eigentlich das Gegenteil richtig. «Den Frauen fehlt die nötige Kraft für so einen Wagen», sagt Redaktorin Carlotta Henggeler, 26. «Die Wirbelsäule und der Nacken würden dieses Gerüttel auf Dauer nicht unbeschadet überstehen.»
So ist es nicht erstaunlich, dass die Liste der Formel-1-Heldinnen kurz ist: Maria Teresa de Fillippis, Divina Galica, Lella Lombardi, Giovanna Amati und Desiré Wilson. Wobei nur die Italienerin Lella Lombardi den Sprung in die Formel-1-Punktetabelle schaffte. Am 27. April 1975 holte sich die «Tigerin von Turin», so ihr Spitzname, einen halben WM-Punkt am spanischen Grand Prix im Montjuich-Park in Barcelona.
Doch bei aller Technik-und-Tempo-Begeisterung, auch für die weiblichen Formel-1-Expertinnen gehts nicht ganz ohne Sex. «Ein schönes Auto ist etwas Erotisches», sagt Christine Jäger, und die Formel 1 sei die «Supersexbomben-Klasse». Für Frauen, die sich nicht mit dem Anblick der Piloten in ihren hautengen Anzügen begnügen möchten, bietet girlsf1.f2s.com – eine Formel-1-Fanseite für und von Frauen – einen Spezialservice: die Möglichkeit, den Lieblingsfahrer zu adoptieren.
Das Prozedere ist einfach: Den «Adoptivsohn» auswählen, und schon zwei Tage später erhält die «Mutter» per E-Mail ein Adoptions-Zertifikat, dazu ein schönes Bild des Schützlings und jede Menge Infomaterial.
Die Herren Rennfahrer gehen weg wie frische Semmeln. Die Macherin der Seite, die 25-jährige Schottin Isobel, muss schon an einem neuen, schnelleren System herumtüfteln: «Mein System ist, sorry, völlig am Arsch», sagt sie. «Ich hätte nicht gedacht, dass derart viele Frauen scharf auf einen Fahrer sind.»