Der Schiffbruch im Weltall

Der Schiffbruch im Weltall

Das Verschwinden des Polar Lander stürzt die Nasa in die Krise. Dem Chef droht der Job-Verlust, und schon 2001 steht der nächste Mars-Flug an.

Als sie noch Hoffnung hatten, hatten sie auch noch Humor. «MPL phone home» (Mars Polar Lander, ruf doch mal an) stand auf Zetteln, die Forscher vor die Fernsehkamera hielten. Da war die Sonde erst einige Stunden verschollen.

An Nasa-Chef Daniel Goldin war die Selbstironie verschwendet. Mit versteinerter Miene sass er da und ahnte wohl schon, was sich knapp zwei Wochen nach dem vermutlichen Verlust des Lander überdeutlich zeigt: Die Nasa steckt in der Krise, und Goldins Job ist akut gefährdet.

Denn die Agentur hat nicht nur den Polar Lander (MPL) verloren:
Ende September verglühte der Climate Orbiter in der Atmosphäre des Mars.
Beim Infrarot-Teleskop Wire verdampfte im März die Kühlflüssigkeit, Beobachtungen sind nun unmöglich.

Technische Probleme und ein Mangel an Wartungspersonal haben die Spaceshuttles an den Boden gefesselt. Frühestens morgen Freitag kann die Crew mit dem Schweizer Claude Nicollier zur sechsmal verschobenen Reparatur des Teleskops Hubble starten.

Schon sprechen manche Beobachter vom «annus horribilis» der Nasa – ein Ausdruck, den zuletzt Elizabeth II. benutzte, als sich ihre Schwiegertochter Fergie 1992 am Zeh lutschen liess.
Die meisten Kritiker machen Goldins Motto «schneller, besser, billiger» für das Problem verantwortlich. Seit 1993 sind die Wörter zum Mantra der Nasa geworden. In dieser Zeit hat die Agentur fast ein Fünftel ihres Budgets verloren. «Wenn das Weisse Haus fünf Prozent streichen wollte, so scheint es, hat Goldin zehn angeboten», sagt James Oberg, ein erfahrener Weltraum-Techniker. Einen «brain drain», den Exodus erfahrener Ingenieure, habe der Nasa-Chef damit ausgelöst.

«Zu oft sind statt Tests der Hardware nur Computer-Simulationen gemacht worden», kritisiert John Logsdon von der George Washington University. Zudem fehlte es den Nasa-Ingenieuren in Los Angeles offenbar an Reisespesen, sagt Logsdon, um sich mit den Kollegen von Lockheed in Denver zu treffen, wo die beiden verlorenen Mars-Sonden gebaut wurden. Das ist pikant, weil der Climate Orbiter nach einem Missverständnis um Inches und Meter abstürzte – also wegen mangelnder Kommunikation.

Kritisiert wird auch, dass das Kontrollzentrum von den elf Minuten vor der Landung keine Daten hat, weil auf einen entsprechenden Sender verzichtet wurde: «Da fehlte eine interplanetare Blackbox», sagt Keith Cowing, der die Behörde mit seiner Internet-Seite «Nasawatch» kritisch begleitet. «Dann wüssten wir jetzt wenigstens, was schief gegangen ist.»

Stattdessen tappt die Nasa im Dunkeln. Als wahrscheinlichste Ursache gilt zurzeit, dass der «cruise ring» versagt hat. Bis kurz vor der Landung hat er den Lander mit den beiden kleinen Proben Scott und Amundsen verbunden. Sie sollten mit hohem Tempo auf dem Mars aufschlagen und Eisfühler in den Boden treiben. Doch auch von ihnen fehlt jede Spur.
Die Sprengladungen, die alle drei Sonden von dem «cruise ring» befreien sollten, galten schon als Gefahrenquelle, seit der Bericht über den Absturz des Climate Orbiter herausgekommen war. Da hatte die Nasa wortreich dementiert: Labortests hätten die Zuverlässigkeit des Systems unter Beweis gestellt. Daran wird nun wieder gezweifelt.

Der Report über den Orbiter weckt zudem Zweifel an den Bremsraketen des Lander. Der Treibstoff könne einfrieren, lasen die MPL-Techniker in der Studie, und stellten darum die Heizung beim Lander einige Stunden früher an als geplant. «Warum muss erst ein Raumschiff abstürzen, damit die daran denken?», schimpft Cowing. «Das ist doch Anfängerwissen.» Und selbst wenn der Treibstoff brauchbar war – das Feuern der zwölf Triebwerke hat die Nasa nie vollständig getestet.
Als dritte Erklärung für den Verlust gilt Widrigkeit des Terrains. Womöglich ist der Lander auf einem Felsen gelandet und umgefallen. Alle drei Raumschiffe könnten aber auch in gefrorenem Kohlendioxid versunken oder, spekuliert Logsdon, durch eine Kruste gebrochen sein. Oder ihre Antennen sind verklemmt, oder eine Felswand blockiert die Signale, oder, oder, oder.

In ihrer Hilflosigkeit will die Nasa nun Fotos vom Bau der Raumsonde analysieren, um etwaigen Mängeln auf die Spur zu kommen. Die Zeit drängt, denn die für 2001 geplanten Missionen, wieder ein Orbiter und ein Lander, sind weitgehend baugleich mit den verlorenen Schiffen.

Doch obwohl die technischen Probleme gelöst werden müssen, Kernpunkt der Kritik sind sie nicht. Schon im Bericht zum Climate Orbiter wurde vor allem das Management gerügt: Führungskräfte ohne Überblick, mangelnde Kommunikation der Arbeitsgruppen, schlecht ausgebildete und überarbeitete Mitarbeiter. Nasa-Kritiker fühlen sich bestätigt: «Schneller, besser, billiger» war ein Irrweg.

Auch die wissenschaftliche Bilanz der Billigmissionen ist umstritten: Pathfinder und Global Surveyor haben zwar seit 1997 das Detailwissen über den Roten Planeten erweitert. Vor wenigen Tagen erst meldeten Forscher der Brown University in Rhode Island, sie hätten auf Surveyor-Bildern die Küstenlinie eines vertrockneten Mars-Ozeans entdeckt.
Eine Antwort auf die Frage, die die Fantasie der Öffentlichkeit fesselt, fehlt jedoch: Gab oder gibt es Leben auf dem Mars? Keine Sonde seit den Viking-Landern in den Siebzigerjahren hat sich darum gekümmert. Auch der MPL sollte nur nach Wasser suchen, nicht nach Leben.
Einfache Sonden mit einfachen Experimenten loszuschicken, war jedoch genau das Konzept. Tatsächlich hat der verlorene Lander «nur» 165 Millionen Dollar gekostet. Für Raumschiffe ist das preiswert – es entspricht dem Preis einer Boeing 747. Und das Risiko, eins oder mehrere der Schiffe zu verlieren, haben die Vertreter von «schneller, besser, billiger» stets eingeräumt.
So gesehen hatte der Nasa-Chef einfach Pech: Erst die beiden Abstürze nacheinander verschaffen der Kritik an seinem Stil ein politisches Forum. Wichtige Kongressabgeordnete haben Goldin schon angegriffen. «Manchmal habe ich Vertrauen zu ihm, manchmal nicht», sagt etwa James Sensenbrenner, Vorsitzender des Wissenschafts-Ausschusses.

Sobald das Parlament nach der Weihnachtspause seine Arbeit aufnimmt, dürften Goldins Probleme daher richtig beginnen. Eine Budgetkürzung halten Beobachter für unwahrscheinlich. Doch ob Goldin seinen Job behalten darf, darauf mag sich niemand festlegen. Womöglich fragt sich der Nasa-Chef schon, wessen Zukunft wohl gemeint ist im Gedicht über den Polar Lander, das die Mars Society im Internet verbreitet: «So weit gekommen zu sein und zu sterben / ohne das Wasser des Mars geschmeckt zu haben / nähme meinem Leben den Wert und würfe / Schatten auf die Zukunft.»

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