Der mobile Chef

mobile Chef

Die Swisscom ist unter Druck. Jens Alder versucht den Konzern, der zu zwei Drittel dem Bund gehört, in die Zukunft zu retten.

Auf der Fahrt von Gstaad zurück nach Worblaufen bei Bern passierts: Zweimal fällt Swisscom-Chef Jens Alder aus dem eigenen Natel-Netz. Einmal wird die Verbindung bei Saanen BE gekappt, das andere Mal kurz vor Bulle FR. Dabei verspricht die Swisscom-Werbung: «98 Prozent Abdeckung – nur mit uns.»

«Ärgerlich», kommentiert Alder, «das darf nicht passieren.» Doch es folgt kein Fluchen, kein lautes Wort, nur ein Vorsatz: «Ich werde am Montag mit unserem Mobilchef Walter Heutschi sprechen.»

Jens Alder ist keiner, der ob eines oder zwei Funklöchern die Contenance verliert. «Wo andere lamentieren, handelt er», charakterisiert ihn ein Swisscom-Kadermitarbeiter.

Handlungsbedarf findet Alder in seiner neuen Aufgabe bei der Swisscom reichlich. Das grösste Problem des Telekom-Riesen: Die Umsätze im bisherigen Kerngeschäft, im Telefonieren auf dem Festnetz, sinken, die Kosten dagegen steigen. Diese Schere muss der 42-Jährige schliessen.

Sein Tagesprogramm ist intensiv. An diesem Freitag wird er 490 Autobahnkilometer abspulen. Um 7.15 Uhr holt ihn der Swisscom-Chauffeur in Wohlen AG ab, wo Alder mit seiner Familie wohnt. Vor 22 Uhr wird er nicht zu Hause sein.

Zu dieser Zeit ist sein achtjähriger Sohn längst im Bett. Ein Zustand, der nicht die Regel sei: «Mindestens dreimal pro Woche frühstücke ich morgens mit der Familie, zweimal pro Woche lese ich meinem Sohn eine Gutenacht-Geschichte vor», schildert er die Vorgaben, die er mit seiner Familie ausgehandelt hat. Erst nach ihrem Okay habe er Swisscom-Präsident Markus Rauh zugesagt, den Job als Konzernleiter zu übernehmen. Fünf Wochen steht er nun an der Spitze des grössten Telekommunikations-Unternehmens der Schweiz, das 20 000 Mitarbeiter beschäftigt, über 10 Milliarden Franken umsetzt und an dem der Bund die Aktienmehrheit besitzt.

Gegen 8.30 Uhr trifft Alder am Swisscom-Hauptsitz im Berner Vorort Worblaufen ein. Nach einer Besprechung mahnt der Chauffeur um 10 Uhr zur Abfahrt. Ein Kundenbesuch steht an.

Alder wird von einem Verkaufsberater begleitet. Auf der halbstündigen Fahrt im Fonds des dunklen Audi A8 lässt sich der Chef über den Kunden, den er gleich treffen wird, informieren. Der Besuch ist heikel: Der Kunde sei unzufrieden, liebäugle mit einem Wechsel zur Konkurrenz. Der Grund: eine Telefonzentrale, welche die Swisscom vor einem halben Jahr installiert habe. Mit der sei der Kunde alles andere als glücklich.

Einen halben Tag pro Woche will Alder für Kundenbesuche aufwenden. «Nur so spüre ich, wie die Stimmung an der Front wirklich ist.» Wie die Stimmung unter den Swisscom-Mitarbeitern ist, bekommt Alder zu hören, als er seinem Verkaufsmitarbeiter die Frage stellt: «Wie gefällt es Ihnen bei uns?»

Der nutzt die Gelegenheit und klagt beim obersten Chef über eine neue interne Vorgabe, gemäss der er künftig 400 Kundengespräche pro Jahr durchführen müsse. «Jetzt frage ich Sie, Herr Alder: Sind wir Verkaufsmitarbeiter künftig nur noch Röstipfannen-Verkäufer, die bei ihren Kunden Umsatz bolzen müssen, oder setzen wir weiterhin auf Qualität und Service?»

Ungefilterter Restrukturierungs-Alltag schlägt Alder entgegen. Doch vom Chef folgt keine Zurechtweisung, sondern ein joviales Wort: «Ich finde es gut, dass Sie mich das fragen», und Jens Alder versichert, dass das «Röstipfannen-Verkaufen» für Swisscom keine Option sein könne. «Wir müssen uns durch Zusatzleistungen verkaufen.» Von einer Vorgabe für die Verkaufsmitarbeiter wisse er nichts. Alder lässt sich die E-Mail-Adresse des Mitarbeiters geben und verspricht, er werde sich erkundigen.

Der Swisscom-Kunde ist sauer. Der Berater ist freundlich, leitet das Gespräch. Alder hält sich zurück, lässt einen Arm locker über die Stuhllehne baumeln, sein Blick schweift ins Freie. Doch die Gelassenheit täuscht: Mit Zwischenfragen lässt er durchblicken, dass ihm kein Detail entgangen ist.

Die neue Offerte scheint den Kunden zu besänftigen. Eigentlich wolle er ja bei Swisscom bleiben, meint er, sein Unternehmen sei kompliziert organisiert, da sei es das Beste, «wenn wir die Dienstleistung aus einer Hand bekommen».

Jetzt ist das Eis gebrochen, der Kunde wohlgesinnt, und als sich Alder am Ende für die Bauteile-Ausstellung im Gebäude interessiert – «Ich habe gerade mit meinem Sohn ein Gartenhäuschen gebaut» –, herrscht eitel Freude. Der Kunde wird Swisscom die Treue halten.

Rund 80 Prozent beträgt der Marktanteil der Ex-Monopolistin in der Fest- und der Mobiltelefonie. Imposante Eckwerte, doch das Fatale daran ist der Trend: Swisscom hat seit der Liberalisierung vor zwei Jahren über eine halbe Million Kunden verloren.

«Es ist klar der Worst Case eingetreten, den wir geplant hatten», bestätigt Konzernchef Alder. Im Herbst 1999 konnte der boomende Mobilfunk-Bereich der Swisscom erstmals die Umsatzrückgänge im Fixnetz nicht mehr ausgleichen.

Um 11.50 Uhr sitzt Alder wieder im Wagen. Ziel ist das «Palace-Hotel» in Gstaad, wo er vor Investoren einen Vortrag halten wird.

Die Swisscom-Aktie hat im letzten Jahr enttäuscht. Das ärgert Alder persönlich; als Teil des Swisscom-Top-Managements war er beim Börsengang im Oktober 1998 verpflichtet, Aktien in der Höhe eines Jahressalärs zu kaufen. Sein Portefeuille dürfte 500 000 Franken Wert sein. Wäre er schon damals Swisscom-Chef gewesen, hätte er für fast eine Million Franken Aktien kaufen müssen.

Viel Geld für einen harten Job. Alder muss bei bei Swisscom den Abbau von 4000 Vollzeitstellen zu Ende führen. Im Rahmen von «Fit for Competition», einer Sparübung, die beim Chef persönlich angesiedelt ist, stehen weitere Stellen auf dem Spiel. Nach den jüngsten Preissenkungen ist der Druck auf die Arbeitsplätze weiter gestiegen.

Ob es zu einem weiteren Aderlass kommt, dazu könne er sich «zum heutigen Zeitpunkt» nicht äussern, weicht der diplomierte Elektroingenieur aus. «Im Sommer wissen wir mehr», verspricht er. Sobald es etwas zu kommunizieren gebe, informiere er die Gewerkschaften und höre sich an, was diese zu sagen hätten. Sei er dann immer noch von seinem Vorhaben überzeugt, rede er mit den Betroffenen.

Bei den Arbeitnehmervertretern gilt Alder als knallharter Verhandler. «Er hat sich zwar für einen guten Sozialplan stark gemacht, doch von seinem Kurs liess er sich nicht abbringen», erzählt einer, der bei den Abbau-Verhandlungen letztes Jahr dabei war. Und er prophe-zeit: «Wenn es Alder für nötig hält, weitere Jobs zu streichen, dann tut er das auch.»

Stellen abbauen sei eine «Drecksarbeit», sagt der Swisscom-Chef. Schon bei seiner früheren Arbeitgeberin, der Alcatel, musste er 500 Mitarbeiter entlassen. «Ich werde nie vergessen, wie mies ich mich fühlte, als der erste Mitarbeiter zum Entlassungsgespräch zu mir ins Büro kam.»

Alder hat fünfzehn Minuten Zeit, in der Lobby des «Palace» ein Sandwich zu essen. Dabei geht er in Gedanken noch einmal seinen Vortrag durch.

«Ich bin von Haus aus kein Millionär», eröffnet Alder sein Referat vor den 200 Investoren. «Deshalb bin ich darauf angewiesen, für ein Unternehmen mit Zukunft zu arbeiten.» Den Vortrag hält Alder in Englisch. Die Fremdsprache spricht er flüssig, mehrheitlich frei. Doch er wirkt ungewohnt reserviert und hält sich am Rednerpult fest.

Ja, er würde es klar begrüssen, wenn der Bund die Aktienmehrheit an Swisscom abtreten würde, fährt er fort. Aber in der Schweiz dauere halt alles etwas länger, deshalb richte er sich darauf ein, dass er die nächsten zwei Jahre unter den heutigen Bedingungen arbeiten müsse.

Grosse Akquisitionen im Ausland mittels Aktientausch liegen bis dahin nicht drin. «Es ist derzeit auch nichts geplant», ergänzt Alder. Die deutsche Mobiltelefon-Gesellschaft Debitel, die Swisscom letzten Herbst für 3,4 Milliarden Franken erworben hat, wachse organisch sehr stark. «Seit wir sie übernommen haben, hat sie ihre Kundenzahl um eine halbe Million auf rund 4 Millionen gesteigert.»

Der Chauffeur fährt zurück an den Swisscom-Hauptsitz. «Beim Referat vor den Investoren bin ich nicht richtig warm geworden», resümiert Alder im Wagen. Er weiss auch gleich warum: «Ich bin einfach lockerer, wenn ich ohne Manuskript referiere.» In Gstaad hielt er sich an die Vorlage der Investor-Relations-Abteilung, «damit alle das Gleiche sagen». Das sei auch gut so, sagt Alder, «denn ich habe ein loses Mundwerk – meine grösste Schwäche».

Um 17.45 Uhr muss Alder in Olten vor 500 Swissom-Mitarbeitern einen weiteren Vortrag halten. Ein Stau auf der Autobahn bringt den Zeitplan durcheinander. «Es wird knapp», kündigt der Chauffeur an. «Das schaffen Sie schon», sagt Alder. Der Fahrer versteht die Botschaft und tritt aufs Gaspedal.

Alder hängt pausenlos am Handy. In den letzten anderthalb Stunden sammelten sich 15 Meldungen in seiner Combox an. Abwechselnd telefoniert er mit dem fest installierten Autotelefon und seinem Ericsson T28s.

Ein Mitarbeiter, den Alder am Vormittag telefonisch nicht erreichen konnte, ruft zurück. «Was, du bist krank? Du klingst aber gar nicht so. Simulierst du?», feixt der Chef in die Muschel. Die Details zur Sydney-Grippe amüsieren ihn. Schliesslich verabschiedet er sich mit dem Satz: «Dann also bis am Montag.» Länger als zwei Tage dauert eine Sydney-Grippe in Alders Zeitrechnung nicht.

Wieder piepst das Natel. Jetzt lässt sich der Chef darüber informieren, was es mit der internen Vorgabe für die Verkaufsmitarbeiter auf sich habe. Das Ganze, so stellt sich heraus, sei erst in Diskussion. Er kann den Mitarbeiter vom Vormittag vorerst beruhigen.

«Kick-off» heisst die Veranstaltung in Olten. Die Swisscom-Mitarbeiter tragen selbst beschriftete T-Shirts mit dem Slogan «Fit for Fun» – in Anlehnung an Alders Kostensenkungs-Programm «Fit for Competition».

Der Chef tritt ans Mikrofon. Kurz darauf dringt ein seltsames Summen aus den Lautsprechern. Alder greift in die Westentasche und nimmt sein Ericsson heraus: «Mein Natel.» Der Fauxpas wird vor heimischem Publikum mit Applaus quittiert. Das dritte Mal an diesem Tag erklärt er die Swisscom-Strategie. «Ich verlange von Ihnen», sagt Alder zum Schluss, «dass Sie glücklich sind. Nur glückliche Menschen bringen eine gute Leistung.»

Das kommt an bei der Basis. Ein Mitarbeiter überreicht ihm ein «Fit for Fun»-T-Shirt, das sich der Chef unter tosendem Beifall überzieht. Als sich der Mitarbeiter bedankt, dass «der Jens extra von den Skiferien hierher gekommen ist», nimmt der noch einmal das Mikrofon zur Hand: «Gerüchte soll man sofort richtigstellen. Ich komme zwar direkt aus Gstaad, ich hielt aber einen Vortrag vor Investoren.»

Zu Klängen der Rockband Span plaudert Alder im Foyer mit Angestellten. Um 19.30 Uhr bespricht er sich mit einem persönlichen Mitarbeiter. Kurz vor 21 Uhr gehts nach Hause.

Alder schaut auf seine Uhr. Aus der Gutenacht-Geschichte für sein Sohn wird heute nichts. Es wäre auch nur die «Kür» gewesen: Sein Soll von zwei Geschichten hat er diese Woche bereits erfüllt.

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