Das Radio geht ins Internet

Radio Internet

Mit etwas Software kann heute jedermann Radio machen. Aber auch im Internet werden am Ende grosse Studios dominieren, die den gewünschten Inhalt liefern.

Vorbei sind die Zeiten, in denen es unbedingt Millionen kostete, eine Rundfunkanstalt einzurichten. Heute genügt ein ordentlicher Heim-PC mit den entsprechenden Programmen und wenig Zubehör, um ins so genannte Webcasting einzusteigen. Mit Software wie ShoutCast Server der US-Firma Nullsoft, die für nicht kommerzielle Einsätze unentgeltlich im Internet erhältlich ist, kann jedermann in kurzer Zeit die eigene Radiostation einrichten. Kaum 2 Megabyte an Installationsdaten muss man vom Web herunterladen, das zum Abspielen der Musikdateien benötigte Zusatzprogramm Winamp des gleichen Herstellers eingerechnet.

Das genügt dann, um bis zu 1024 Hörer gleichzeitig mit selbst gemachten Sendungen zu berieseln, genügend Bandbreite vorausgesetzt, denn eine übliche ISDN-Verbindung reicht eben für zwei Benutzer. «Es empfiehlt sich», sagt Nullsoft-Programmierer Thomas Pepper, «sich mit seinem Provider in Verbindung zu setzen, ehe man eine Radiostation auf der Homepage einrichtet.» Sonst kollabiert vielleicht das Netz, auf dem man sich eingemietet hat, sollte plötzlich ein grösseres Publikum einen ahnungslosen Amateur-Moderator als unglaublich interessant entdecken. Dazu braucht man nicht einmal einen PC: Soeben haben die beiden US-Firmen Kerbango und AudioRamp neue Radiogeräte mit eingebauten Modems vorgestellt, die Programme über Telefonleitung empfangen.

Gut möglich, dass 2000 im Rückblick als jenes Jahr gelten wird, in dem Webradios endgültig den Durchbruch schafften. Doch voraussichtlich werden es nicht kleine Pioniere sein, die am Ende triumphieren, sondern grosse Medienunternehmen, die im Moment vor allem in den USA riesige Summen in die Entwicklung von Internetradios stecken. Kürzlich erst wurde Nullsoft vom Online-Dienst AOL für knapp 400 Millionen Dollar in Aktien aufgekauft, bereits im letzten April hatte sich Yahoo! für 5,7 Milliarden Dollar das Webcast-Portal Broadcast.com einverleibt. «Je länger Rundfunkanstalten damit zuwarten, auch Internetprogramme zu produzieren, desto schwerer wird ihnen später der Einstieg fallen», sagt Microsoft-Spezialist Anthony Bay.

Der Moderator sitzt zu Hause

Auch Laurence Desarzeus sieht eine Zukunft, in der grosse kommerzielle Webradios dominieren, während kleine unabhängige Stationen sich um Nischenmärkte kümmern. «Das Problem beim Radiomachen im Internet sind nicht die Geräte, sondern der Inhalt», sagt die Geschäftsführerin von Nomad Online Agents GmbH in Zürich. Die Kleinfirma hat sich auf die Liveübertragung von Anlässen aller Art im Internet spezialisiert, zu den Kunden gehören Unternehmen wie Swisscom, Credit Suisse und SAirGroup. Nebenbei führt man seit Sommer 1997 das Webradio BoomBox.net, doch das sendet vornehmlich ein paar Stunden an den Wochenenden von Livekonzerten in der Clubszene. «Wir können und wollen damit nicht kommerziell tätig sein», sagt Desarzeus, für die BoomBox. net vor allem Promotion für die eigene Firma ist und ein Steckenpferd, das sehr viel Zeit benötigt: «Rund zwei Tage pro Woche», sagt sie, «müssen wir für die Übertragungen und den Unterhalt unseres Servers aufwenden.» Nun will man im Februar, zusammen mit Kollegen aus dem Ausland, ein europäisches Streaming-Portal eröffnen (www.europeanstreaming.com).

In Genf träumen die Betreiber von Basic.ch von einem Webradio, das rund um die Uhr sendet. Doch bisher fanden sich nicht genügend Freiwillige, die sich ohne Entgelt als Discjockeys betätigen. Dabei nimmt die moderne Technik einem sogar den Weg in ein zentrales Studio ab: Bereits gibt es Internetstationen, deren Mitarbeiter von zu Hause aus senden, mit der restlichen Mannschaft einfach über schnelle Datenleitungen verbunden. «Theoretisch», sagt Laurence Desarzeus, «kann ein Moderator in den USA das Nachtprogramm eines Schweizer Studios bestreiten.» Auch traditionellen Radiostationen eröffnen sich im Internet neue Möglichkeiten. Zürcher Lokalsender wie Radio 24 oder Radio Z kann man heute auch in weit entfernten Ländern hören, einen PC und eine Datenleitung mit mindestens 28,8 kbps (Kilobits pro Sekunde) vorausgesetzt. Auf einschlägigen Web-Seiten und in Suchindexen sind mehrere 1000 Stationen aus der ganzen Welt verzeichnet, die ihre Programme nicht nur im Äther, sondern zeitgleich auch im Internet ausstrahlen. So kann der moderne Weltreisende selbst in Übersee live erfahren, was in der heimatlichen Regionalpolitik läuft.

Unterschiedliche Konzepte

Wie weit die Verbindung von konventioneller Radiotechnologie und neuen Medien gedeihen kann, zeigt das Beispiel von Schweizer Radio International (SRI). Dort beschäftigen sich Spezialisten seit geraumer Zeit mit dem Aufbau eines digitalen Archivs, das durchaus wegweisend sein könnte. Zwar sendet die SRG ihre Programme nicht live im Web, doch laufend werden immer mehr Informationssendungen indexiert und im Internet zum Abruf bereitgestellt. «Drei Sekunden nach der Ausstrahlung von Nachrichten kann man diese auch im Web als Audiodatei hören», sagt Peter Hufschmid, Leiter Multimedia bei SRI. Sendungen wie das «Echo der Zeit» finden sich in der digitalen Sammlung nach einzelnen Beiträgen aufgeschlüsselt, und die interne Suchmaschine, mit der es sich nach Themen suchen lässt, zeigt neben entsprechenden Radionachrichten auch Links zum Videoarchiv des Schweizer Fernsehens und zu Meldungen der Schweizerischen Depeschenagentur an.

Das Angebot wird offenbar rege benutzt. Seit November 1998 wird das Regionaljournal der Kantone Bern, Freiburg und Wallis für das Internet aufbereitet, «140 000 Zugriffe auf archivierte Daten haben wir bisher verzeichnet», sagt Hufschmid. Vor allem erstaunt ihn diese Zahl, weil in diesen drei Kantonen die Internetdichte in Privathaushalten geringer ist als anderswo. Auch andere Sendungen sind gefragt: «Mehr als 1500 Personen», sagt Hufschmid, «hören sich täglich im Web archivierte DRS-Nachrichten an.»

Ganz begeistert ist Olaf Kriewald, Vorstand der Hamburger CyberRadio AG, von den Möglichkeiten des Webcasting. «Der grosse Durchbruch», kündigt der Deutsche an, «kommt in dem Moment, in dem hier US-Verhältnisse herrschen.» In den Staaten sind lokale Telefongespräche gratis, viele Internetbenutzer lassen ihre Computer deshalb ständig mit dem Web verbunden und hören, während sie Texte schreiben oder anderswo im weltweiten Datennetz surfen, im Hintergrund ihre Lieblingsstation. Seit Dezember 1998 ist CyberRadio online, im Juli 1999 kam ein US-Studio in Santa Monica hinzu, jetzt soll im März ein weiteres in London folgen. Dabei ist Kriewald, nach Investitionen von bisher 4 Mio. Mark, unbeeindruckt von herkömmlichen Sendern, die ihr terrestrisch ausgestrahltes Programm nebenbei auch ins Web einspeisen: «Man hat es im Internet», sagt er, «mit einem ganz anderen Publikum zu tun.»

Keine Ahnung allerdings hat Kriewald, wie viele Zuhörer sein Programm tatsächlich anspricht. Doch es gibt Anzeichen, dass es nicht wenige sind: «Pro Sendung erhalten wir jede Stunde bis zu 500 elektronische Briefe.» Die von der Deutschen Telekom gewarteten Server in Darmstadt jedenfalls können heute 30 000 Benutzer gleichzeitig versorgen, und bereits plant Kriewald weitere Spartenkanäle, für Jugendliche zwischen 12 bis 20 Jahren zum Beispiel und ein Business-Programm mit Börseninfos. «Teenager haben andere Hörbedürfnisse als Erwachsene bei der Arbeit», sagt der Internetradiomacher. «Sie wollen Moderatoren, die über Dinge wie Liebeskummer, Verhütung und Schulärger reden.» Vor allem aber soll die Radiolandschaft im Web nicht ein Abbild der wirklichen Welt sein, in der vor allem lokale Infos wichtig sind. «Höchst selten», sagt Kriewald, «wollen Londoner das Gleiche erfahren, was sich Hamburger den ganzen Tag anhören müssen.»

Handy als Kurzwellenempfänger

Schon bald sollen auch Mobiltelefone zu Radiogeräten mutieren. Die israelische GEO Interactive Media Group hat ein System entwickelt, das Zusatzprogramme wie RealPlayer oder MediaPlayer überflüssig macht: Ein spezieller Algorithmus komprimiert die Audiodaten bis zu 500fach, eine von Betriebssystem und Browser unabhängige Java-Minisoftware kümmert sich um das Abspielen in Echtzeit. Dabei kommt die unter dem Namen Emblaze angebotene Technologie mit Übertragungsraten von um 3 kbps aus, ein Drittel dessen, was die heutigen Mobiltelefonnetze der ersten Generation bewältigen können. Hersteller wie Nokia und Ericsson entwickeln auf Basis solcher Neuerungen bereits Modelle, die nebenbei als tragbare Rundfunkempfänger dienen. Das genügt zwar nicht zum Musikhören in CD-Qualität, denn dazu wären 128 kbps nötig, aber als Ersatz für Kurzwellenradios taugen Mobiltelefone dann allemal: Jede noch so weit entfernte Station liesse sich ohne das bekannte lästige Knistern abhören.

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