Belege in der Unterhose

Belege in der Unterhose

Schwarzgeld in Milliardenhöhe schmuggeln Deutsche jedes Jahr ins Ausland. Ein Tor zur Schweiz ist der Zoll Bietingen-Thayngen.

Ein regnerischer Freitagvormittag in den Sommerferien. Ein silberner Audi mit zwei Passagieren nähert sich dem deutschen Zöllner am Grenzübergang Bietingen-Thayngen. Der Zöllner schaut in den Wagen und fragt: «Führen Sie mehr als 30’000 Mark in bar mit sich?» Nur unregelmässige Grenzüberquerer reagieren mit Verwunderung auf die knappe Frage. Den Zoll- und Grenzschutzbeamten geht sie längst routinemässig über die Lippen. Sie wissen aus Erfahrung, dass ein guter Teil derer, die mit einem erstaunten «Schön wärs!» oder einem kecken «Heut grad nicht …» antworten, bloss blufft.

Ein Bluff, der teuer werden kann: Die Beamten fragen immer zweimal. Wenn sie dann beim Filzen fündig werden, setzt es eine saftige Busse: bei Fahrlässigkeit ein Viertel des mitgeführten Geldes, bei grobem Verschulden die Hälfte, bei klar illegaler Herkunft ist natürlich alles futsch. Aber selbst wer gar kein Bargeld dabei hat, ist vor dem Zugriff der Zöllner nicht sicher: Auch auf Wertpapiere und Bankunterlagen haben es die Beamten abgesehen.

Der Audi wird zur genaueren Inspektion zur Seite gewinkt. Sichtlich nervös steigt der Fahrer aus und öffnet etwas allzu schnell den leeren Kofferraum. Die beiden Reisenden, ein Mann um die vierzig und eine etwas ältere Frau, scheinen keinerlei Waren mit sich zu führen. Doch der Zöllner hat längst Lunte gerochen und führt die beiden zur Personenkontrolle ins Zollamt.

«Die meisten tragen das Geld am Körper», sagt ein junger Beamter. «Im BH, um den Bauch, in der Hose – das sind die klassischen Verstecke.» Also ist ein leeres Auto noch kein Grund, die Grenzgänger laufen zu lassen. Die Verdächtigen werden zur Kontrolle des Intimbereichs ins Gebäude gebeten. «Wir haben hier Befugnisse, von denen Polizisten in den meisten Staaten Europas nur träumen können», erklärt ein Beamter freimütig. «Wo sonst darf man die Leute ohne konkreten Verdacht zur Leibesvisitation bitten?»

Der Mann ist bald wieder draussen. «Ich habe absolut nichts zu verbergen», sagt der Audi-Fahrer aus dem badischen Städtchen Calw mit Unschuldsmiene. «Wir machen nur einen Tagesausflug.» Bei seiner Begleiterin, der Schwiegermutter, dauert die Kontrolle im Zollhaus etwas länger. Als sie zurück zum Auto kommt, schaut sie für eine arglose Tagesausflüglerin recht zerknittert drein. In ihrer Handtasche befand sich ein weisses Couvert mit dem Kontoauszug einer Schweizer Bank.
Der erste Treffer dieses Tages. Denn als auch die beiden Beamten zurückkommen, strahlen sie übers ganze Gesicht. Mehr als dass sich eine ansehnliche Summe auf dem Konto befindet und sie vermuten, dass das Geld nicht deklariert ist, wollen sie nicht verraten. «Auf jeden Fall reichts für eine Meldung an die Steuerbehörde.»

Das Zollamt zwischen Thayngen und Bietingen ist das rentabelste in Deutschland. 1,4 Milliarden Mark an zu überprüfenden Geldern spürten die Schwarzgeld-Schnüffler im Auftrag des deutschen Finanzministeriums im vergangenen Jahr auf. Dabei sind sich die Grenzbeamten darüber im Klaren, dass sie «höchstens ein paar Promille» der tatsächlich geschmuggelten Gelder aufgreifen. Und Bietingen ist beileibe nicht der einzige Grenzübergang, der sich mit Horden von Geldschmugglern konfrontiert sieht. «Die gesamte Grenze zur Schweiz ist in ähnlichem Ausmass betroffen», erklärt Werner Eberhardt, Vorsteher des Hauptzollamts Singen und Chef der Bietinger Schwarzgeld-Truppe.

Steuerhinterziehung ist in Deutschland Massensport. Der Manager tuts ebenso wie der schwarz arbeitende Handwerker oder der Liegenschaftenspekulant und die Erbin. Die deutschen Steuersätze sind happig: Bereits ab einem Einkommen von knapp über 100’000 Mark kommt der Spitzensteuersatz von 48,5 Prozent zum Tragen. Auch die Besteuerung von Erbschaften und Vermögen ist viel höher als in der Schweiz.

500 bis 800 Milliarden Mark Schwarzgeld, schätzt das deutsche Finanzministerium, lagern auf ausländischen Konten, ein guter Teil davon in der Schweiz. Ein Unrechtsbewusstsein, wie bei Straftaten sonst üblich, entwickeln Schwarzgeld-Schmuggler oft nicht einmal dann, wenn sie ertappt werden. «Eher geraten sie ausser sich, weil man ihnen ‹ihr Vermögen› wegnehmen will», erklärt Zoll-Chef Eberhardt. «Ältere Männer regen sich manchmal so stark auf, dass man um ihre Gesundheit fürchten muss.»

Für Eberhardt geht die Steuerflucht einher mit dem allgemein feststellbaren Trend zur Entsolidarisierung der Gesellschaft. Dabei ist es nicht nur das Steueramt, das die Schwarzgeld-Schmuggler hintergehen. «Es geht ihnen darum, das Geld in einen rechtsfreien Raum zu bringen», weiss Eberhardt. Viele verstecken ihr Geld auch vor der Ehefrau, vor Geschäftspartnern oder vor Gläubigern.
Nach spektakulären Fällen braucht er nicht lang zu suchen. Auf seinem Tisch im Hauptzollamt Singen liegt die fangfrische Akte eines Unternehmers, der 4,5 Millionen auf einer Schweizer Grossbank «mit drei Buchstaben» hatte. Und das war nicht einmal sein dickster Fisch. Eberhardt: «Den Rekord hält ein anderer Landsmann mit Konto in Zürich: 6,8 Millionen beträgt in diesem Fall allein die Steuernachforderung. Dennoch würde der Täter vermutlich keine Sekunde zögern, einen Ladendieb als kriminell zu bezeichnen.»

An diesem Tag laufen die Geschäfte eher mittelmässig. Der nächste Treffer lässt auf sich warten. Es ist ein unscheinbarer beiger Mercedes aus dem norddeutschen Lahn. Ein Fahrer, zwei Mitfahrerinnen, allesamt ältere Herrschaften. Der geschulte Grenzerblick fällt auf die goldene Uhr des Fahrzeuglenkers. Auf die Frage, wo er die denn gekauft habe, gibt der Mann, offenbar ein schlechter Schwindler, sofort zu: «In der Schweiz.» Bei der eingehenden Befragung im Zollhaus packt er aus. Die Schweiz besucht er nicht nur ihrer Uhren wegen, auch die Bank seines Vertrauens liegt jenseits der Grenze. Dem Mann blüht jetzt ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung.

Am Mittag sieht die Zwischenbilanz der Bietinger Zöllner ordentlich, wenn auch nicht sonderlich spektakulär aus: «Zwei Fälle, eine runde Million», sagt einer. «Ein Spitzentag wirds nicht, aber rentiert haben wir schon.» An Spitzentagen hatten sie bis vor kurzem mehr als zwanzig Treffer. Unterdessen hat sich aber herumgesprochen, dass deutsche Zöllner beim Grenzübertritt in die Schweiz bei betuchten Reisenden nach Geld und Bankbelegen suchen.
Vor anderthalb Jahren, als die Grenzer vom Finanzminister den Auftrag zur Schwarzgeldjagd erhielten, war die Arbeit noch bedeutend einfacher. «Da brauchte man ein Auto nur anzuschauen und wusste: Volltreffer», erinnert sich einer an die goldenen Zeiten.

Doch spektakuläre Bargeldfunde kommen immer noch vor. «Vor drei Tagen hatte einer 600’000 Mark dabei, eine Woche vorher fanden wir sogar doppelt so viel», sagt einer der Zöllner. Warum die Schmuggler nicht wenigstens ein bisschen vorsichtiger vorgehen, sich für den Grenzübertritt ein kleineres Zollamt aussuchen, kann er auch nicht erklären. Er weiss nur so viel: «Wer sich hier noch erwischen lässt, gehört wirklich zu den Dummen.» Die Schlauen führen jedenfalls bestimmt keine Bankbelege mit. «Die haben die Unterlagen im Schliessfach ihrer Schweizer Bank.»
Aber wer Bargeld zur Bank bringen oder welches abheben will, muss die Scheine schliesslich irgendwie über die Grenze bringen. Und da ist neben einem Pokerface auch Fantasie beim Verstecken gefragt. Doch die routinierten Zöllner scheinen alle Fächer und Hohlräume der verschiedenen Fahrzeugtypen zu kennen. Ihre Augen sehen sofort, wenn eine Abdeckung locker sitzt.

Schon naht der nächste Verdächtige: ein blauer Kombi, vollgepackt mit Kisten und Gerümpel. Auf die 30’000-Mark-Frage antwortet der allein reisende Fahrer. «Ja, hab ich!» Er sei auf dem Weg nach Kroatien, das Bare in seinem Geldgurt sein Urlaubsbatzen. Ganz schön viel für einen allein. Aber was wollen die Zöllner machen? Da sie keine verdächtigen Unterlagen finden und der Mann seine Tausender vorschriftsmässig deklariert hat, lassen sie ihn ziehen.
Die Schweizer Zöllner beobachten das Treiben ihrer deutschen Kollegen interessiert aus der Distanz. Anders als bei illegal Einreisenden, Drogen oder auch unverzolltem Kaffee können sich die Deutschen von ihnen keine Hilfe versprechen.
«Wir kooperieren in allen Belangen, aber beim Geld hört die Freundschaft mit den Schweizern auf», witzelt einer der Deutschen.

«Wir können doch nichts dafür, dass der Franken härter ist als der Euro», versucht einer der Schweizer sein von oben verordnetes Desinteresse zu rechtfertigen. Ein anderer weiss selbst von einem Bargeldfund zu berichten: «In einem Auto, das die deutsche Seite bereits passiert hatte, fand ich mehrere hunderttausend Mark in bar. Auf die Frage, was er mit dem Geld vorhabe, sagte der Fahrer, er bringe es in der Schweiz zur Bank. Was sollte ich tun? Selbst wenn wir den deutschen Kollegen helfen wollten, wir dürfen es nicht.»

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