Auf der Kippe – der drohenden Rezession bewahren
Nur der Privatkonsum kann uns vor der drohenden Rezession bewahren.
Die Nervosität ist beträchtlich. Als am Dienstagnachmittag erneut ein Passagierflugzeug in New York abstürzte, sackte unmittelbar nach den ersten Meldungen auch die Schweizer Börse ab. Innert Minuten verlor der Index der grössten Schweizer Unternehmen SMI mehr als 100 Punkte. Die Börse hat sich wieder erholt, als sich abzeichnete, dass kein terroristischer Akt hinter dem Absturz steckt.
Die Befürchtungen sind verständlich. Eine Eskalation von Terror und Krieg hätte unmittelbare und drastische wirtschaftliche Konsequenzen – nicht nur für die Aktienkurse. Die alles durchdringende weltweite Unsicherheit macht auch Konjunkturprognosen zu einem Glücksspiel.
Die USA schlittern in eine Rezession. Deutschland wie die gesamte EU sind davon bedroht. Dadurch verliert die Schweiz eine wichtige Konjunkturstütze, den Export. Alles hängt jetzt von den Konsumenten ab. Die Wirtschaftsentwicklung ist vor allem von psychologischen Faktoren abhängig geworden; davon also, wie die Schweizer Konsumenten in die Zukunft blicken. Optimismus oder Pessimismus? Das bestimmt, wie stark konsumiert wird, und wie viel die Unternehmen investieren.
Die neusten Daten zur Konsumenten-stimmung zeigen einen drastischen Einbruch: Im letzten Quartal fiel der vom Bund erhobene Index des Konsumenten-
vertrauens um 29 Punkte, von 12 auf minus 17. So stark gab er das letzte Mal im Oktober 1990, zu Beginn des Golfkriegs nach.
Die Konjunktur-Beobachter nehmen das noch nicht sonderlich ernst: «Die Stimmungsindikatoren messen die Ausschläge des momentanen Befindens», sagt Janwillem Acket, Chefökonom der Bank Julius Bär, «sie schlagen deutlicher aus als die Konjunktur selber.» Die frisch gemessenen Zahlen zu den Detailhandelsumsätzen im September geben ihm auf den ersten Blick Recht: Verkaufstags- und preisbereinigt nahmen die Umsätze im Monat der Katastrophen um 5,7 Prozent zu. Die Verkäufe gehen allerdings weniger auf einen Konjunkturoptimismus zurück als vielmehr auf den Einfluss des Wetters und von Ausverkäufen bei Kleidern und Schuhen, die im September um durchschnittlich 14,3 Prozent günstiger verkauft wurden.
Die professionellen Konjunkturbeobachter von Banken, Bund und Universitäten bleiben mehrheitlich optimistisch: Keine Prognose geht für das Jahr 2002 von einem BIP-Wachstum von unter 1 Prozent aus. Diese schlechteste inländische Prognose würde für die Schweiz zwar eine deutliche Abschwächung bedeuten – nach einem Wachstum von 3 Prozent im Jahr 2000 und einem mehrheitlich auf 1,7 Prozent geschätzten Zuwachs im laufenden Jahr -, aber von einer Rezession könnte keine Rede sein. Die inländischen Prognosen gehen dementsprechend höchstens von einer Arbeitslosenquote von 2,4 Prozent aus.
Deutlich skeptischer als die schweizerischen Konjunktur-Prognostiker sind ihre Kollegen im Ausland. Das gilt auch für ihre Aussagen über die Schweizer Konjunktur. Die US-Investmentbank Goldman Sachs geht in einer neuen Studie für unser Land im Jahre 2002 insgesamt von einem Nullwachstum aus und sieht eine Rezession im laufenden und dem ersten Quartal des folgenden Jahres. Schweizer Prognostiker halten nicht viel von diesen Aussagen: «Sich mit Negativmeldungen zu überbieten, verstärkt nur die Unsicherheit bei den Leuten», mahnt Bernd Schips, Chef der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF). Letztlich stützen sich alle Konjunkturpropheten auf Annahmen über die künftige Entwicklung, die im Augenblick höchst unsicher bleibt.
Die Mehrheit der Auguren hält die negativen Konjunkturdaten bloss für Anzeichen einer vorübergehenden Unsicherheit. Ausserdem nehmen die Prognostiker an, dass sich die internationale Wirtschaftslage – ausgehend von den USA – im nächsten Jahr deutlich verbessert. Dann würden auch die Schweizer Exporte wieder zunehmen. «Wir gehen davon aus, dass sich der Abwärtstrend verlangsamen wird, sonst werden sämtliche Prognosen gefährdet», sagt Klaus Wellershoff, Chefökonom der UBS.
Eine weitere Eskalation des Kriegs in Afghanistan oder ein Terroranschlag grösseren Ausmasses kann das Bild erheblich verdüstern. International würde damit die Unsicherheit weiter zunehmen, was Konsum und Investitionen weltweit zusätzlich hemmen würde und damit auch die Schweizer Exporte.
Ausserdem würde damit auch der ohnehin für die Exportwirtschaft zu teure Franken zusätzlich aufgewertet, weil er vor allem im Verhältnis zum Euro als sichere Währung gehandelt wird. Dies würde die Ausfuhren der Schweiz, die beinahe jeden zweiten Franken im Ausland verdient, weiter bremsen. Wenn auch noch der momentan sehr günstige Ölpreis – wie unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September – explodiert und damit das allgemeine Preisniveau nach oben drückt, rutscht die ganze Weltwirtschaft in eine Rezession. Einer solchen könnte sich auch die Schweiz nicht entziehen.